0921 - Die Trennung
verpflichtet, alles zu sagen, was Ihnen auffällt.« Gaudin konnte umständliche Menschen nicht leiden. »Was in Dreiteufelsnamen haben Sie also gesehen?«
Der dicke Gendarm zuckte zurück. »Teufel? Vielleicht, ja«, flüsterte er heiser. »Jean und ich haben gesehen, als wir ins Zimmer kamen, dass sich eine schwarze Hand langsam über den Körper des Toten bewegt hat. Zuerst über das Gesicht und den Hals, langsam nach unten über die Brust und den Bauch.«
»Ja, exakt«, bestätigte Jean Favre mit weit aufgerissenen Augen und Gänsehaut auf den Unterarmen. »Es war unheimlich. Ich dachte auch zuerst, ich spinne und sehe bloß einen Schatten. Aber es war eine Schattenhand, die gewandert ist. Und sie hat die Finger bewegt. So, als ob sie tasten würde oder etwas sanft streicheln. Und dann hat sie sie plötzlich zu einer Faust zusammengezogen und wieder geöffnet. Es war… unheimlich.«
In Favres Augenwinkeln schimmerte es nun feucht. »Dann hat sich die schwarze Hand vom Körper des Toten gelöst, ist kurz in der Luft geschwebt und dann irgendwo in einem finsteren Winkel verschwunden. Ich dachte einen Moment, jetzt holt sie uns.«
Desargues bekreuzigte sich hastig. »Bei der Heiligen Mutter Maria, genau so war es, Inspektor. Und weil wir beide dasselbe gesehen haben, sagen wir es Ihnen, selbst auf die Gefahr hin, dass Sie uns für durchgeknallt halten.«
Gaudin und Cavarro sahen sich an.
»Sie haben nicht vor dem Einsatz hier zufälligerweise ein paar zusammen gehoben?«, fragte der Inspektor in Richtung der Gendarmen.
»Was erlauben Sie sich, Monsieur?«, fuhr Desargues auf. »Wir trinken niemals im Dienst.«
»Schon gut, Entschuldigung«, beschwichtigte der Inspektor.
»Kommen Sie morgen bitte auf meiner Dienststelle vorbei, dann nehmen wir Ihre Aussagen zu Protokoll. Ich danke Ihnen beiden.«
Die Flics gingen halbwegs beschwichtigt.
»Die haben doch tatsächlich einen an der Klatsche, Chef«, sagte Cavarro.
Gaudin betrachtete nachdenklich die Fingernägel seiner rechten Hand. »Haben sie?«
»Was soll das heißen? Sie werden den Blödsinn doch nicht etwa glauben, Chef? Eine Schattenhand, pah. Womöglich soll die Cassel auch noch ermordet haben.«
»Sie glauben nicht an das Übersinnliche, Cavarro?«
»Sie etwa?«
»Nein, ich glaube nicht daran.«
»Na sehen Sie.«
»Ich weiß , dass das Übersinnliche existiert.«
Cavarro starrte den Inspektor an.
Jetzt glaubt er, dass ich einen an der Klatsche habe. Egal. Ich werde mir wohl Hilfe besorgen müssen. Und ich weiß auch schon, wo.
***
Haus der Tourniers
Michel Tournier konnte den knappen Sieg von Paris St. Germain über den FC Barcelona im Gegensatz zu seinem Sohn Marc nicht genießen. Während Marc den seltsamen Schatz im Keller schon wieder vergessen zu haben schien und begeistert Fähnchen schwenkte, musste Tournier ununterbrochen daran denken. Und seine Frau Maggie ebenfalls. Bis tief in die Nacht hinein unterhielten sie sich darüber, was sie nun unternehmen sollten. Das Auftauchen des glitzernden Berges grenzte zweifellos an Zauberei. Aber es gab keine Zauberei, nicht im Sinne von Magie jedenfalls. Und das ganze Zeug schien echt zu sein.
»Ich werde mal morgen ein paar von den Sachen beim Juwelier taxieren lassen«, sagte Tournier und zog die Bettdecke über seine Brust. »Dann sehen wir weiter. Jetzt bin ich todmüde und muss unbedingt schlafen. Vorher sollten wir aber noch die gütige Fee in unser Nachtgebet einschließen, die es so gut mit uns gemeint hat.«
»Hat sie das wirklich, wenn’s denn eine war?« Michel Tournier sah Angst in den Augen seiner Frau.
Bereits im Morgengrauen schreckte er, von Albträumen geplagt, hoch. Maggie schlief tief und er ließ sie. Sein erster Weg führte ihn in den Keller. Er hoffte inständig, dass sich der Schatz über Nacht in Nichts aufgelöst hatte, aber der märchenhafte Reichtum hatte ihm diesen Gefallen nicht getan. So nahm der Anlageberater einen goldenen Kelch und ein teures Geschmeide aus Hunderten von glitzernden Perlen mit in die Arbeit.
Maggie fuhr währenddessen Marc zur Schule, weil sie sich verspätet hatten und schärfte ihm ein, ja kein Wort von dem Schatz zu verraten. »Sonst kommt nämlich der Bürgermeister und nimmt ihn uns wieder weg, weißt du. Und das wollen wir doch nicht.«
Der Junge versprach hoch und heilig, niemandem etwas davon zu erzählen. Nachdem sie ihn abgeliefert hatte, erledigte Maggie die anfallenden Hausarbeiten. Sie war ganz alleine im Haus und bisher
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