0921 - Totengrinsen
bezog sich ebenfalls auf diese Zeit hier, auf mein normales Leben. Ich hatte einfach den Eindruck, als wäre dieses Gesicht in zwei verschiedenen Existenzen vorhanden.«
Wir schwiegen, denn da kamen wir nicht mit. »In zwei Existenzen?« hakte ich nach.
»Ja, seltsam, aber irgendwo hat man mir das auch klargemacht.«
»Wie?«
»Den genauen Wortlaut weiß ich nicht mehr. Aber es wurde davon gesprochen, daß sich dieses Gesicht einen Tunnel geschaffen hat. Es gibt viele Tunnel oder Kanäle, die vom Diesseits ins Jenseits führen, das weiß ich jetzt, aber dieses Gesicht mit dem Totengrinsen hat einen ganz besonderen erschaffen. Und es mußte dafür auch etwas tun, so habe ich es verstanden.«
»Tun?«
Sie nickte mir zu.
»Was denn?« fragte Suko.
Jane holte Luft. Dann stöhnte sie, was sicherlich mit der Hitze zusammenhing. »Ob ihr es glaubt oder nicht, aber es hat von Morden gesprochen, die geschehen mußten, damit es in der Lage war, diesen Tunnel zu schaffen. Eine verrückte, eine irre Logik, die gar keine ist, die ich nicht nachvollziehen kann, aber was ist bei unseren Feinden schon logisch? Jedenfalls habe ich es so verstanden, und ich denke nicht, daß ich mich geirrt habe. Nein, das auf keinen Fall.«
Wir hielten uns zunächst mit irgendwelchen Bemerkungen zurück. Suko hatte die Stirn gekraust. Er dachte ebenso intensiv nach wie ich. Dann hob er die Schultern. »Wenn das so ist, haben wir es mit einem Mörder zu tun.«
»Das stimmt«, flüsterte Jane.
»Und wenn ich den Faden weiter verfolge, könnte es ein Mörder sein, der noch lebt - oder?«
Die Detektivin überlegte kurz, bevor sie heftig nickte. »Ja, er lebt noch.«
Nach dieser Antwort waren wir wie elektrisiert. »Das weißt du genau?« fragte ich.
»Fast hundertprozentig.«
»Dann mußt du noch mehr wissen!«
»Kann sein«, gab Jane zu. »Er hat mir noch etwas gesagt.« Sie kratzte sich am Kopf. »Aber fragt mich nicht danach, was er gesagt hat.«
»Ist es wichtig?«
»Ich glaube schon, John.«
»War es ein Name?«
Zuerst schrak Jane zusammen, dann saß sie plötzlich steif auf ihrem Platz.
Auch ich spürte das Fieber in mir und hakte noch einmal nach. »War es ein Name?«
Jane schwieg. Aber sie überlegte. Wir bekamen mit, wie die Zungenspitzen die Konturen der Lippen nachzog. »Ja, ja«, murmelte sie, »da ist ein Name gewesen.«
»Fällt er dir ein?«
Sie schaute mich intensiv an, aber ich hatte den Eindruck, als würde sie mich nicht sehen. »Ein Name«, murmelte sie, »ein ungewöhnlicher Name, den man aber trotzdem kennt.«
»Wie ungewöhnlich?« fragte ich.
»Das kann ich dir nicht sagen, John. Ich kenne ihn, er fällt mir nur nicht ein. Ich muß ihn nur in Verbindung mit etwas anderem bringen, mit einem geflügelten Wort. Mit einem Aphorismus oder einem Titel.« Sie räusperte sich, ballte die Hände zu Fäusten und hob sie an, bevor sie beide wieder senkte.
»Der Name ist da. Er ist mir gerade eingefallen. Es ist…«
»Kannst du dich denn an den Beinamen erinnern, den man ihm gegeben hat?« fragte Suko.
»Noch nicht.«
»Vielleicht sollten wir danach suchen.«
»Oder willst du nach draußen gehen?«
»Nein, das auch nicht«, erwiderte sie, preßte noch einmal die Hände zusammen und stieß dann einen Begriff hervor, der uns beiden wohl geläufig war.
»Der Weise!«
Wir schwiegen.
Jane wiederholte ihn. »Der Weise, John - Suko. Bringt es in einen Zusammenhang.«
Bei mir fiel der Cent zuerst. »Nathan«, sagte ich halblaut. »Nathan, der Weise!«
»Jaaa!« Jane jubelte dieses Wort hervor. »Das genau ist es gewesen. Nathan aber nicht der Weise. Einfach nur Nathan. So hat er sich mir gegenüber genannt, und er hat sich dabei unwahrscheinlich sicher gegeben, daß ich damit nichts anfangen konnte. Aber er hieß Nathan, das weiß ich genau.«
Meine Güte, das war die Spur! Endlich hatten wir etwas Konkretes in der Hand.
Nathan also.
Nathan, der Killer!
Er mußte einfach ein Mörder sein, das hatte er Jane erklärt. So wäre es ihm nicht gelungen, den Tunnel zwischen dem Diesseits und dem Jenseits zu schaffen. Für uns stand jetzt an erster Stelle, diesen Killer namens Nathan zu finden.
Suko formulierte meinen Gedankengang. »Der Killer heißt also Nathan!« stellte er fest.
»Sicher.«
»Können wir davon ausgehen, daß er tot ist? Körperlich, meine ich. So daß sich nur sein böses Ich, sein Geist bewegt?«
Jane Collins hatte uns zugehört und widersprach heftig. »Nein, nein, das nicht. Er muß noch
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