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0924 - Der Herr der Nebelberge

0924 - Der Herr der Nebelberge

Titel: 0924 - Der Herr der Nebelberge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Fröhlich
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Und dazu war sie nicht bereit. Noch nicht. Vielleicht nie.
    Was für eine verfahrene Situation.
    Wie gerne wäre sie ein ganz normales Mädchen!
    Jahrelang war sie vor Krychnak auf der Flucht gewesen. Aus Angst, er könne sie töten. Später, als sie nichts dringender wollte, als endlich zu sterben, war Krychnak verschwunden. Und jetzt, ausgerechnet jetzt, wo Rhett ihr einen Grund gegeben hatte, leben zu wollen, tauchte der Dämon wieder auf. Was für ein Hohn!
    Noch immer hatte Anka die Zugbrücke im Blick. Sollte sie es wagen, nach draußen zu gehen? Nur um zu sehen, ob sich der Ruf wiederholte. Ein paar Minuten schaffte sie es sicher, den Drang zu unterdrücken. Früher hatte sie es sogar monatelang geschafft!
    Ja, früher! Da musste sie sich auch nicht hinter einem magischen Schutzschirm verstecken.
    Sie schloss einen Handel mit sich ab: Sie würde überprüfen, ob es Krychnak war, der nach ihr rief. War er es, würde sie Zamorra und Rhett die Wahrheit sagen und auf deren Verständnis und Hilfe hoffen. Nun ja, vielleicht nicht gleich die ganze Wahrheit, aber einen großen Teil davon.
    Entschlossenen Schrittes marschierte sie über die Zugbrücke. Hinaus auf die Straße. Sie lauschte und hörte - nichts!
    Dafür fühlte sie ein Kribbeln in den Fingerspitzen.
    Nein, nicht jetzt schon! Ich bin doch erst ein paar Sekunden draußen!
    Anka ballte die Hände zu Fäusten. So fest, dass die Fingernägel schmerzhafte Mondsicheln in ihre Handballen gruben. Wenigstens hörte das Kribbeln auf. Vorläufig.
    Mit geschärften Sinnen ging sie einige Meter die Straße entlang.
    Nichts zu sehen, nichts zu hören. Am besten kehrte sie wieder um, bevor das Kribbeln zurückkam.
    Doch sie ging weiter. Meter um Meter. Bis die Straße in einer langen Linksbiegung hinter dem Fels des Bergs verschwand. Endlich blieb sie stehen und drehte sich um. Von hier aus konnte sie die Zugbrücke bereits nicht mehr sehen. Es war wirklich besser umzukehren!
    In diesem Augenblick traf sie der Ruf mit der Wucht einer Steinlawine. Sie krümmte sich, als stünde Krychnak vor ihr und trete sie in den Bauch. Es war tatsächlich Krychnak! Daran hatte sie keinen Zweifel mehr, auch wenn sie ihn nicht sah und er sich vermutlich nicht einmal in der Nähe aufhielt.
    Blut schoss aus ihrer Nase, tropfte auf den Asphalt und hinterließ dunkle Flecken, die zu einem bizarren Leben erwachten. Sie umtanzten einander und lachten Anka aus. Auch die restliche Umgebung, die Straße, die Bäume, die Wolken, sie alle verschwammen zu einer unwirklichen Melange aus Farben und Schmerz.
    Über die peinigenden Attacken hinaus sprach der Ruf etwas in ihr an, das sie verzweifelt zu unterdrücken versuchte. Plötzlich war das Kribbeln wieder da. Ihre Hände stachen, als machte sie auf einem Teppich aus Reißnägeln Liegestütze. Sie fühlte, wie es in ihr aufstieg, herausdrängte, nach Freiheit lechzte.
    Anka stöhnte auf. Sie musste ins Château! Sofort!
    »Anka? Bist du hier draußen?«
    Oh nein! Rhett war in der Nähe, um sie zu suchen.
    Ihr geliebter Rhett.
    Der verhasste Erbfolger .
    Sie verlor die Kontrolle. Für einen Moment sah und hörte sie doppelt. Zwei identische Bilder der Welt, die nicht ganz deckungsgleich übereinander lagen. Zwei Lautsprecher, aus denen die Geräusche des Lebens drangen - zeitlich um Millisekunden versetzt. Das Zwitschern der Vögel, das Rauschen des Bluts in ihren Ohren, ihr angestrengtes Ächzen, Rhetts Rufe: erst aus einem Lautsprecher, dann aus dem anderen.
    In der nächsten Sekunde raste ein scharfer Schmerz durch ihren Körper und gleich darauf war die Empfindung der doppelten Wahrnehmung verschwunden. Wie auch das Kribbeln in den Fingerspitzen.
    Sie strich sich über die schweißbedeckte Stirn und keuchte.
    »Oh nein, bitte nicht!«
    Alles Betteln halft nichts. Es war wieder geschehen! Der Drang hatte gesiegt.
    Rhett! Sie musste zu ihm!
    Gerade als sich die blonde Frau mit dem jungen Gesicht umdrehen wollte, flog eine Faust auf sie zu, traf sie an der Schläfe und knipste alle Lichter aus.
    ***
    Aus dem Nichts schälte sich auf der Treppe ein alter Mann hervor. Ein Windstoß ließ seine wenigen, aber langen eisgrauen Haare flattern. Altersflecken übersäten das faltige, von der Zeit ausgetrocknete Gesicht.
    »Was willst du?«
    Aktanur kam nicht die Stufen herunter, um seinen Schöpfer zu begrüßen. Kein gutes Zeichen! Krychnak hatte auf einen anderen Empfang gehofft.
    »Ich bin zurück, Aktanur!«
    »Das ist nicht zu übersehen.« Der Alte

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