0924 - Der Herr der Nebelberge
zögerte einen Moment, schien in sich hinein zu lauschen. Auf eine Stimme der Vergangenheit? »Aktanur. Diesen Namen habe ich lange nicht mehr gehört. Nun nennt man mich Norc Rimrar, den Talmörder.« Er machte eine weit ausholende Bewegung und blickte in die Ferne. »Du siehst, warum!«
»Für mich wirst du stets Aktanur bleiben. Der Name passt besser zu dir. Willst du nicht herunterkommen? Wir haben zu reden.«
Der Talmörder kicherte und breitete die Arme aus. »Reden? Du kannst zu mir beten und hoffen, dass ich deine Wünsche erhöre.«
Krychnak stieß ein Fauchen aus, begleitet von sämigen Speicheltröpfchen. »Du vergisst, wen du vor dir hast!«
»Vor mir habe ich niemanden! Nur unter mir. Ich habe dich keineswegs vergessen. Du bist der, der mich in diese Welt geschleppt und allein gelassen hat. Der von bedeutungsvollen Plänen geschwafelt hat, ohne mir eine Winzigkeit davon zu verraten. Der mich hat fallen lassen, weil ich nicht mehr in diese Pläne gepasst habe.« Aktanur trat einen Schritt vor und umklammerte mit seinen knochigen Händen das Steingeländer. Dann drosch er mit der Faust immer und immer wieder dagegen. »Nein, ich habe dich nicht vergessen.« Erneut breitete er die Arme aus. Von seiner linken Hand tropfte Blut. Trotzdem lachte er. »Aber du weißt nicht, wen du vor dir hast! Ich bin Norc Rimrar! Der Talmörder!«
»Das sagtest du bereits.«
»Ich bin der finstere Gott dieser Welt. Herrscher über das kleine Land . Verheerer Isilrias.«
Nun war es an Krychnak zu lachen. »Du bist kein Gott! Du bist ein Mensch, nichts weiter. Ich habe dich geschaffen. Ich habe dir gezeigt, wie du so alt werden kannst. Ich habe dich alles gelehrt. Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden? Du bist kein Gott! Du bist ein undankbares, trotziges Gör!«
»Wofür sollte ich dankbar sein? Dass ich alt werden durfte? Dass ich nicht jung bleiben musste, obwohl du die Macht besessen hättest, mich so zu erschaffen! Du hast es schon einmal getan, warum nicht auch bei mir?«
»Weil…«
Weil ich dafür zu viel Magie in dich hätte fließen lassen müssen und dich nicht mehr unter Kontrolle gehabt hätte.
Innerlich lachte Krychnak auf. Als hätte er jetzt Kontrolle über sein Geschöpf!
»Weil es nicht ging. Doch die Vergangenheit ist unwichtig. Was zählt, ist die Zukunft. Unsere Pläne! Du wirst mehr sein als nur der Gott über eine Handvoll lächerlicher Bergspitzen. Komm mit mir in die Schwefelklüfte!«
Sekundenlang starrte Aktanur Krychnak an. »Du lässt mich über Tausende von Jahren allein und kaum bist du wieder hier, soll ich dir nachlaufen wie ein zahmer Schneespringer?« Er machte eine kurze Pause, während der er wiederholt an seinen Haaren riss. »Nein, ich glaube nicht, dass ich das tue.« Dann drehte er sich um, ging einen Schritt und verschwand genauso unvermittelt, wie er erschienen war.
Krychnak stieß einen markerschütternden Schrei aus. Er hatte damit gerechnet, dass Aktanur sich widerspenstig zeigte, aber nicht damit, stehen gelassen zu werden wie ein kleiner Dämon.
Das durfte er sich nicht gefallen lassen! Natürlich wäre es besser, wenn Aktanur freiwillig mitginge. Unbedingt nötig war es aber nicht. Dann würde er Aktanur - nein, berichtigte er sich: nicht Aktanur, sondern Norc Rimrar! Was für ein hochtrabender Name! - dann würde er ihn eben an seinen dünnen Haaren in die Schwefelklüfte zerren!
Nach einem weiteren Schrei hatte er sich wieder im Griff. Zwang war keine Lösung. Zumindest noch nicht. Wenn Aktanur sich innerlich sperrte, konnte er Probleme machen, die Krychnak in seiner derzeitigen Verfassung vielleicht nicht zu überwinden vermochte.
Er musste ihn überreden, seine Spielzeugwelt aufzugeben, sein lachhaftes Domizil im kleinen Land . Aber wie sollte er das bewerkstelligen? Aktanur war nicht einmal gewillt, ihn anzuhören. Wie sollte er ihn da von der Wichtigkeit seiner Pläne überzeugen? Vor allem, ohne ihm zu erklären, was genau er vorhatte. Denn es war sein Plan, den wollte er mit niemandem teilen, der ihm dann den Ruhm streitig machen konnte! Also, wie konnte er Aktanur überzeugen, ihm…
In diesem Augenblick entdeckte er im nahegelegenen Wald eine huschende Bewegung.
Krychnak fuhr herum und sah einen Jungen, der ebenso verzweifelt wie vergebens versuchte, sich hinter einem Busch zu verstecken. Hätte der Dämon normale Augen gehabt, wäre der Junge seiner Aufmerksamkeit vielleicht entgangen, doch dank seiner magischen Sinne nahm er ihn deutlich wahr.
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