0924 - Der Herr der Nebelberge
den Legenden erzählt! Hätte er sich doch nur nie darauf eingelassen, mit ihm zum Nebelmeer zu wandern! Hätte er doch nur…
Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr. Unten am Ufer!
Hendreg fuhr herum und glaubte, seinen Augen nicht zu trauen: Da stieg jemand aus dem Meer! Aus dem Nebel!
Ohne nachzudenken, huschte Hendreg zurück in den Wald. Sein Herz raste wie ein Schneespringer auf der Flucht.
Wer war das? Einer der Männer aus dem Dorf? Unsinn! Niemand, absolut niemand ging freiwillig in den Nebel! Was also sollte er darin gewollt haben?
Oder war es jemand, der im Nebel lebte? Gab es das überhaupt?
Hendreg fröstelte. In keinem der beiden Fälle wollte er von dem Fremden gesehen werden. Er schlich zwei Schritte tiefer in den Wald und ging hinter einem dichten Strauch in Deckung.
Es handelte sich tatsächlich um einen Mann, der vom Ufer heraufkam. Genau auf die Treppe zu! Seine dunkle Kutte wogte bei jedem Schritt hin und her, als hätte er etwas von dem Nebel mitgenommen und sich darin gekleidet.
Eine eindringliche Stimme meldete sich in Hendregs Hinterkopf.
Hau ab! Renn, so schnell du kannst!
Doch das ging nicht! Auch wenn er gerade noch darüber nachgedacht hatte, ins Dorf zu laufen. Er wollte nicht riskieren, dass Stanny ausgerechnet jetzt wieder auftauchte und dann ganz alleine war. Allein mit diesem seltsamen Nebelmann.
Hendreg konnte inzwischen mehr Einzelheiten erkennen und mit jedem Schritt, den der Kuttenträger auf die Treppe zu marschierte, wurde das Bild klarer. Und erschreckender!
Der Junge stieß ein entsetztes Keuchen aus. Seine Knie wurden weich und er musste sich an einem Baumstamm festhalten.
Er kannte den Mann in der Kutte!
Natürlich nicht persönlich, aber er hatte oft von ihm gehört. Nämlich immer dann, wenn die Alten die Legenden von der Erschaffung des Nebels erzählten. Die Geschichten, die er Stanef in stark verkürzter Version geschildert hatte. In ihnen wurde Norc Rimrars Vater wegen seines unverwechselbaren Aussehens genau beschrieben.
»Ein schrecklicher Dämon mit dem äußeren Erscheinungsbild eines Menschen. Doch da, wo die Nase hätte sein sollen, klafften zwei senkrechte, schwarze Schlitze, die pulsierten und pumpten. Mit ihnen erschnupperte er die Sünden der Menschen. Wenn er eine arme Seele ertappte, stieß er ein Lachen aus, so spröde und rissig wie seine Oberlippe. Dabei wippte seine Unterlippe auf und ab, die in der Mitte bis zum Kinn gespalten war, sodass die Hälften wie Lappen herunterhingen. Dahinter prangte ein Verhau aus unregelmäßigen braunen Zähnen. Das Grausigste aber waren die Augenhöhlen. Gelblich schimmernde Haut spannte sich darüber, die in ständiger Bewegung war. Sie beulte sich aus, pochte oder kräuselte sich. Es wirkte, als lauere dahinter etwas noch ungleich Schlimmeres, das nur darauf wartete, herausquellen zu können. Wenn er einen Menschen mit diesen Augen anstarrte, war dem der Wahnsinn gewiss.«
Die Schreckensgestalt aus den Legenden erreichte gerade den Fuß der Treppe. Die alten Geschichten stimmten! Norc Rimrars Vater, der finstere Gott, existierte!
Und er war nach Isilria zurückgekehrt!
***
Krychnak war nach Isilria zurückgekehrt. Er stand vor der Treppe und starrte sie an. Was war nur aus dieser Welt geworden in den letzten 2000 Jahren, seit er sie zuletzt gesehen hatte?
Er verzog das Gesicht zu einer grauenhaften Grimasse, seiner Version eines Grinsens mit gespaltener Unterlippe.
Bevor er Aktanur hierher gebracht hatte, war Isilria eine grüne Welt voller Freude gewesen. Blumenwiesen, über denen Schmetterlinge tanzten. Äcker und Felder, auf denen die Menschen arbeiteten und dennoch dabei lächelten. Ein freundlicher Ort, frei von Bosheit und Gewalt. Ein Platz wie geschaffen für Krychnaks Zwecke.
Oh ja, er hatte große Pläne gehabt. Der Dämon dachte an Logan, den damaligen Erbfolger , ein Wesen, das in jeder seiner Inkarnationen einen Auserwählten zur Quelle des Lebens brachte, wo dieser zu einem unsterblichen Kämpfer für die Mächte des Guten wurde. Aus diesem Grund war die Erbfolge der Hölle ein Dorn im Auge. Allen voran Lucifuge Rofocale hatten die Kräfte der Finsternis stets versucht, diesen bereits seit Jahrtausenden andauernden Kreislauf zu stoppen und den Erbfolger zu töten. Nie war es gelungen.
Deshalb hatte Krychnak einen Plan ersonnen, der das ändern sollte. Er führte magische Experimente durch, scheiterte, lernte und machte es beim nächsten Mal besser. Schließlich erschuf er
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