0924 - Der Herr der Nebelberge
Junge wich einen Schritt zurück. Seine Finger verkrampften sich in den Hosenbeinen.
Moment mal! Ich kann mich bewegen!
Noch bevor der Gedanke richtig in sein Bewusstsein einsickern konnte, drehte Hendreg sich auch schon um und lief davon.
Er rannte, wie er noch nie zuvor in seinem Leben gerannt war. Zweige schlugen ihm ins Gesicht, kratzten ihn am Hals, aber er beachtete den Schmerz nicht. Er wollte nur weg von hier! Weg von den schrecklichen Unaugen des finsteren Gottes. Und er wollte leben!
Doch so einfach war das nicht. Hinter sich hörte er die Schritte des Spaltlippigen. Ein kurzer Blick über die Schulter verriet ihm, dass sein Vorsprung nur geringfügig gewachsen war. Seine Lungen stachen bereits, als hätte er Nadeln eingeatmet, und sein Atem rasselte wie verrostete Ketten.
Hendreg wurde klar, dass er keine Chance hatte!
Der Gott holte nur deshalb nicht auf, weil er erschöpft war und weil der Wald mit seinen Unebenheiten, den Ästen und Büschen ihn daran hinderte. Sobald er sich aber erholt hatte oder sobald sie aus dem Wald hinausliefen…
Der Gedanke sträubte sich dagegen, zu Ende gedacht zu werden. Zu schrecklich wäre er gewesen!
Da sah Hendreg den Waldrand vor sich! Dahinter, auf der freien Rotgraswiese, stand die Treppe! Er war auf seiner Flucht einen großen Bogen gelaufen, der ihn nicht zurück zur Hecke gebracht hatte, sondern an den Ausgangspunkt seiner Flucht.
Als er hinter sich den Gott durch den Wald preschen hörte, fasste er einen Entschluss.
Auf Dauer konnte er nicht entkommen und es gab nur noch einen Ort, an dem er vielleicht eine kleine Chance hatte. Das kleine Land , die schnellen Stufen !
Dass er nicht wusste, was ihn dort erwartete, dass dieser Ort der Legenden von Dämonen bevölkert sein sollte, dass der finstere Gott sich dort sicher besser auskannte als er - all das bedachte er in seiner Panik nicht.
Er hetzte aus dem Wald und über die Wiese.
Diesmal war das Glück ihm hold! Der Spaltlippige kam zwischen zwei Bäumen angerast, blieb aber mit der Kutte an einem Ast hängen, geriet ins Straucheln und schlug der Länge nach hin. Das brachte Hendreg die Sekunden, die er gebraucht hatte.
Ohne auf das widerliche Stechen seiner Lungen zu achten, jagte er die Treppe hoch, nahm immer zwei Stufen auf einmal und erreichte schließlich den halben Brückenbogen.
Noch einmal warf er einen Blick zum Wald. Dort stand der Gott mit verschränkten Armen und sah ihm nach. Er hatte die Verfolgung aufgegeben. Vermutlich hatte er eingesehen, dass er Hendreg nicht mehr erreichen konnte.
Plötzlich verschwamm die Umgebung vor Hendregs Augen und machte etwas anderem, etwas ungleich Skurrilerem Platz.
Das kleine Land hatte ihn geschluckt.
***
Die Welt, die sie betraten, war genauso Isilria wie die, die sie verlassen hatten. Und doch war sie völlig anders.
»Oh Kacke, da kriegt man ja Kopfschmerzen!«
»Aber echt! Das ist voll krass hier!«
Nicht nur Dylan und Rhett kämpften mit den Eindrücken, die auf sie einstürmten. Auch Zamorra staunte - und er hatte wahrhaft schon viel in seinem Leben gesehen!
Sie standen nach wie vor in Isilria. Oder besser gesagt: in einer perspektivisch verzerrten Version davon. Die sanft ansteigenden Berghänge, an deren Fuß sie gerade noch gestanden hatten, ragten um ein Vielfaches in den Himmel und wirkten eher wie die spitzen Zähne eines Raubtiergebisses. Alles in dieser Welt war krank und verdorben. Das Laub der Bäume war blässlich grün oder braun und vertrocknet. Selbst die Felsen machten einen leidenden Eindruck und auch der Himmel hatte sich anstecken lassen. Er war von gigantischen dichten Wolken bedeckt, deren Farben zwischen eitrigem Gelb und einem bedrohlichen Dunkelgrau variierten. Die Kraft der Sonne reichte nicht aus, diesen dräuenden Wall zu durchdringen, und so lag das kleine Land in einem Zwielicht, das Zamorra gar nicht gefallen wollte.
Dafür existierte in dieser Variante Isilrias das Nebelmeer nicht. Lediglich vereinzelte Nebelschleier schwebten über dem Boden. Der Parapsychologe konnte trotzdem nicht bis ins Tal schauen, denn dort, wo es sich hätte befinden müssen, entdeckte er nichts als - nichts! Oder war diese tiefe Schwärze zwischen den einzelnen Berggipfeln mehr als nichts? War sie die Kleine-Land-Ausgabe des Nebelmeers? Nein, das glaubte er nicht.
Vielmehr war er der Meinung, dass die Schöpfer dieses…
Zamorra fiel es schwer, einen passenden Begriff dafür zu finden.
... dass die Schöpfer dieses merkwürdigen
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