0925 - Blutzoll
herum. »Bitte, Sie müssen mir glauben. Dort ist nichts mehr. Die Zimmer sind leer, ja leer.« Er nickte. »Aber trotzdem traut sich keiner von uns dort hinein. Wir alle haben das Gefühl, daß dort böse Geister hocken. Schreckliche Geister aus den anderen Reichen, die uns Menschen…« Seine Stimme brach ab. »Ich weiß es ja auch nicht.«
»Gut«, sagte ich, »Sie können jetzt gehen. Ich werde später noch einmal auf Sie zurückkommen.«
Er hielt mich so hart fest, daß es beinahe schon weh tat. »Seien Sie vorsichtig. Nicht alle Tore dieser Welt sieht man. Es gibt andere, unheimliche, so hat man uns gesagt, und man wird als Mensch in die Dimension der Geister gelangen, wo Heulen und Zähneknirschen herrschen. Die andere Welt ist so groß und unendlich…«
»Wir werden sehen«, sagte ich. »Sie halten sich bereit?«
»Ich bin im Restaurant.«
»Bis später.«
Er schaute mich an wie jemand, der von einem Menschen Abschied nehmen will, weil er ihn zum letztenmal im Leben sieht. Aber soweit waren wir noch nicht.
Zum zweitenmal ging ich diesen Weg. Diesmal mit einem anderen Gefühl. War ich beim erstenmal neugierig gewesen, so spürte ich jetzt ein verdammtes Magendrücken. Ich stellte auch fest, daß mein Herz schneller schlug als gewöhnlich.
Ich öffnete die Tür, hielt dabei die rechte Hand in der Tasche, wo mein Kreuz steckte, aber das brauchte ich ebensowenig hervorzuholen wie die Beretta, denn niemand griff mich an.
Vor mir lag der Flur. Und an dessen Ende die Treppe, die hoch zum Speicher führte.
Leer, verlassen. Nicht der kleinste Hinweis auf eine Spur, die zu Suko oder Shao geführt hätte. Die zahlreichen Türen an den Gangseiten kannte ich bereits. Ich hatte sie nur nie geöffnet, doch jetzt holte ich alles nach.
Ich war weder vorsichtig noch langsam. Der Reihe nach zerrte ich sie auf, schaute in die leeren Räume, leuchtete sogar hinein, um alles erkennen zu können, aber der Erfolg blieb mir versagt.
Shao tauchte ebensowenig auf wie Suko. Auch den unheimlichen Schatten oder Begleiter sah ich nicht.
Die Treppe überwand ich mit raschen Schritten. Vor der Tür des Speichers stoppte ich. Sie war nicht ganz zugefallen. Ob es an der Mordkommission gelegen hatte oder an anderen Personen, das war mir nicht bekannt. Lange zögerte ich nicht. Mit einem heftigen Ruck zerrte ich sie auf, und wieder lag der Speicher vor mir.
Eingetaucht in ein geheimnisvolles Leuchten. Die schrägen Fenster glotzten wie starre Augen. Sie waren vom letzten Regen noch feucht, und am Glas außen hatte das Wasser Streifen hinterlassen.
Ich ging auf dem direkten Weg zu diesem Schreibtisch, hinter dem Paul Sibelius gestorben war.
Der Tisch war leer.
Diesmal lag kein Buch darauf.
Ich schaltete die kleine Leuchte ein und machte mich an die Durchsuchung. In jede Ecke schaute ich. Nichts wollte ich übersehen haben, um mir anschließend Vorwürfe machen zu können. Wenn Menschen hier gewesen waren, dann hatten sie auch Spuren hinterlassen, zumindest ging ich davon aus, aber es war wieder nichts zu sehen.
Fußabdrücke im Staub des Bodens sah ich genug. Sie gingen ineinander über und bildeten ein verwirrendes Muster. Die Hinterlassenschaft der Kollegen von der Mordkommission?
Waren sie hier gewesen?
Kein Balken, kein Fenster, kein Staubkorn konnte mir die Antwort verraten.
Ich blieb schließlich in der Mitte des Speichers stehen und kam mir vor wie jemand, dem alle Felle davon geschwommen waren. Ich wäre am liebsten im Fußboden versunken. Es gab nichts, an dem ich mich halten oder aufbauen konnte. So trieb ich weiterhin in einem Meer schrecklich leerer und depressiver Gefühle. So wie ich konnte sich einfach nur ein Verlierer fühlen.
Schließlich holte ich mein Kreuz hervor. Es reagierte zumindest auf die Anwesenheit des Bösen, auch wenn es sich versteckt hielt. In diesem Fall tat sich nichts.
Keine Erwärmung. Kein Lichtreflex, der über das Kreuz huschte, es war alles umsonst.
Der Gedanke, endgültig verloren zu haben, drängte sich immer stärker hoch. Unter dem Dach stand die Luft. Sie war so stickig, daß ich sie kaum einatmen konnte. Trotzdem fror ich und zitterte, aber es lag auch an der inneren Kälte und somit an meiner eigenen Niederlage. Ich verließ den Speicher wie ein geschlagener Boxer den Ring. Ich wollte nachdenken, doch mein Kopf war leer. Es gelang mir nicht, den Hebel anzusetzen, um einen neuen Startplatz zu finden.
Aus und vorbei.
In der Stille des Anbaus hörte ich nur die eigenen
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