0925 - Blutzoll
worden, sie mußte in eine magische Falle geraten sein, die sich in dem Anbau aufgebaut hatte.
Das Haus war das Problem.
Niemand wollte oder konnte mir mehr darüber sagen. Für mich spielte der Besitzer des Ladens, Lao Fang, eine zwielichtige Rolle. Er war jemand, dem ich nicht traute, obwohl er es geschafft hatte, einen völlig unschuldigen und ehrlichen Eindruck zu machen.
Ich hielt nichts in den Händen. Selbst das Totenbuch war mir abgenommen worden. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn mir Sir James Vorwürfe gemacht hätte.
Irgendwo hatte ich sie auch verdient.
Der Schweiß war nicht aufzuhalten. Nach dem zweiten Schluck drang er um so schlimmer aus den Poren, und das Taschentuch entwickelte sich zum wichtigsten Utensil.
Mein Sandwich wurde gebracht.
Es war tatsächlich frisch, sah gut aus. Ich biß hinein, und es schmeckte. Sogar die Salatblätter waren frisch.
Dann traf Sir James ein. Er schaute sich kurz um, ging an zwei leeren Tischen vorbei und trat an den meinen heran. Er trug einen hellen Anzug und legte den Sommerhut neben sich auf einen Stuhl.
»Haben Sie schon lange gewartet, John?«
»Nicht sehr lange.«
»Das ist gut.« Er warf einen Blick auf mein Sandwich und bestellte beim Kellner ein stilles Wasser, was dieser mit einem lustigen Blick quittierte, ansonsten aber nichts sagte.
»Es erübrigt sich zu fragen, ob es etwas Neues gibt, nicht wahr? Shao und Suko bleiben verschwunden.«
»So ist es, Sir.«
»Was haben Sie noch herausgefunden?«
Ich zupfte an meiner feuchten Kleidung und schaute auf die Tischplatte. »Nichts, Sir, ich habe nichts herausgefunden. Die andere Seite hat alle Vorteile. Selbst das Totenbuch wurde mir wieder entrissen. Der Schatten war schneller.«
»Dann ist er das Problem.«
»Wer sonst? Wir müssen ihn fangen.«
Sir James wartete mit seiner Antwort, bis sein Getränk gebracht worden war. Er trank langsam und überlegte dabei, doch die Frage war simpel. »Wie kann man einen Schatten stellen, John? Wie können Sie jemanden stellen, der nicht zu fassen ist?«
Ich runzelte die Stirn. »Das ist jetzt schwer zu sagen. Möglicherweise gar nicht.«
»Kann sein.«
»Aber wir müssen ihn stellen, und wir müssen vor allen Dingen Shao und Suko zurückholen.«
»Kann man einen Schatten bannen?«
Ich lächelte schief. »Das habe ich mich auch schon gefragt. Ich würde es hoffen.«
»Mit Ihrem Kreuz?«
»Möglich ist alles.«
»Aber Sie müßten ihn haben. Und Sie haben ihn nicht. Er kennt zahlreiche Verstecke.«
»Die wir nicht kennen.«
Sir James tupfte seine Stirn trocken. »Soll ich von anderen Dimensionen sprechen?«
»Das käme der Wahrheit eventuell näher. Beide sind in einer anderen Dimension gefangen. Fragen Sie mich nicht, in welcher.«
»Ich tue es trotzdem.«
»Warum?«
»Sie haben doch sicherlich eine Theorie, John.«
Wie gut mich Sir James doch kannte! Die hatte ich tatsächlich. Ja, es gab eine Theorie. Zwar weit hergeholt für jemand, der nichts mit dem Fall zu tun hatte, aber ich dachte eben oft etwas um die Ecke. »Es ist so«, begann ich, »der Schatten nennt sich auch Begleiter. Er ist jemand, der Menschen, die sich unbedingt umbringen wollen, in den Tod begleitet. Er will sie nicht retten, er will ihnen den Suizid sogar noch schmackhafter machen, und deshalb läßt er sie schon zuvor einen Blick in ihre neue Welt werfen.«
Sir James schaute mich an. »Reden Sie weiter, John, ich habe keine Einwände.«
»Gut, mache ich. Er läßt sie also hineinschauen. Er öffnet sie ihnen, aber auf einem relativ normalen Weg. Er zeigt ihnen den Inhalt des Totenbuchs, damit sie wissen, was auf sie zukommt.«
Mein Chef runzelte die Stirn. »Es ist etwas schwer für mich, dies nachzuvollziehen. Sie haben bisher von einem Text gesprochen, John?«
»Stimmt.«
»Können die Personen damit etwas anfangen?«
Ich hob die Schulter. Nach kurzem Überlegen sagte ich: »Es ist möglich, daß Ihnen der Text Trost spenden soll. Zudem dachte ich nicht unbedingt an den Text, sondern mehr an die Bilder, die es gegeben haben muß. Sie sind in unserer Welt als normale Zeichnungen zu sehen. In einer anderen Dimension aber existieren sie. Da sind die Szenen auf eine gewisse Art und Weise lebendig, und die Suizid-Kandidaten wissen, was auf sie zukommt. So habe ich es mir gedacht und bisher noch keine Alternative gefunden.«
Sir James nickte. »Ja, das wäre möglich«, gab er mir recht. Dann fragte er und hob den Kopf dabei an. »Welche Rolle haben Sie dem
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