0925 - Blutzoll
Tritte. Als ich die Treppe hinter mich gebracht hatte, hörte ich durch die Scheiben das Brausen einer Windbö und rechnete damit, daß im nächsten Augenblick wieder ein Guß aus den Wolken fallen würde.
Das passierte noch nicht. Trockenen Fußes erreichte ich wieder das Lokal.
Diesmal sah ich Lao Fang sofort. Zudem hatte er auf mich gewartet und die Tür im Auge behalten.
Er erhob sich von seinem Hocker und trippelte wieder auf mich zu, das Gesicht zu einem einzigen Fragezeichen verzogen. Ich schaute ihn an.
»Sie haben keinen Erfolg gehabt?«
»Richtig.«
»Aber Sie sind wieder hier.«
»Das hatte ich Ihnen gesagt.«
»Es war nicht so sicher.«
Ich wollte nicht länger diskutieren und erklärte ihm, daß Shao und Suko verschwunden waren und ich bisher keine Chance gehabt hatte, auch nur eine winzige Spur von ihnen zu finden.
Der Mann vor mir nickte betrübt. Durch den Schweiß glänzte sein rundes Gesicht wie eine Speckschwarte. »Das ahnte ich - so leid es mir für Sie tut.«
Ich horchte auf. »Was machte Sie eigentlich so sicher?«
»Nichts Konkretes.« Unter meinem scharfen Blick wurde er kleiner. »Nun ja, das Haus ist geräumt worden. Die Menschen haben es verlassen. Sie wohnen jetzt woanders. Es gibt auch niemanden, der es kaufen möchte.«
»Gehört es Ihnen?«
»Nein, nur dieses Restaurant hier.«
»Erzählen Sie weiter.«
»Als die Mieter weg waren, stand es schließlich leer.«
»Was waren die Gründe für den Auszug?«
Lao Fang schaute sich beschwörend um. Er nickte zwei Gästen zu, die das Lokal verließen, dann gab er mir mit leiser Stimme eine Antwort. »Sie haben alle das gleiche gesehen. Immer wieder diese fürchterlichen Bilder von Menschen, die sich selbst den Tod brachten. Die Verfluchten, die sterben wollten. Das konnten sie nicht verkraften, und deshalb sind sie gegangen.«
»Nicht aber Paul Sibelius.«
»Nein, der nicht.«
»Kennen Sie den Grund?«
»Er kam später. Er wußte Bescheid. Er mietete sich ein. Er hat nur einmal mit mir gesprochen und mir erklärt, daß er Bescheid wüßte. Er ist ein Beschwörer gewesen, ein Kenner der Geister. Er wollte sie vertreiben, hat er mir gesagt. Jetzt ist er tot.«
»Und die Geister gibt es immer noch.«
»Ja, Sir, so ist es.« Er breitete die Arme aus. »Aber sie sind verschwunden, untergetaucht, wie auch Ihre Freunde. Ich glaube, daß sie entführt wurden.«
Lao Fang erhielt keine Antwort. Er hatte wohl recht, aber ich wollte es mir nicht laut eingestehen.
Noch einmal schärfte ich ihm ein, mit keinem Menschen über unser Gespräch zu reden. Meine Visitenkarte überreichte ich ihm, damit er mich notfalls anrufen konnte.
Danach zog ich mich zurück. Ich rannte zum Wagen, weil es wieder zu regnen begonnen hatte. Im Trockenen blieb ich sitzen und starrte durch die Frontscheibe auf die Regentropfen, die auf dem Pflaster zerplatzten. Ich war naß und total verschwitzt und fühlte mich in meinen Klamotten alles andere als wohl.
Ein schwerer Gang stand mir bevor. Oder eine schwere Fahrt, wie man's nimmt.
Jedenfalls mußte ich meinen Chef aufsuchen und ihm von der Niederlage berichten.
***
Ich hatte Sir James darum gebeten, das Treffen zu verlegen, denn ins Büro wollte ich nicht. Dieser Raum hätte meine Erinnerungen an den verschwundenen Suko nur noch stärker hochgepeitscht und mir auch die eigene Niederlage wieder vor Augen geführt. Ich fühlte mich schuldig, obwohl ich es eigentlich nicht sein konnte. Wer aber kann schon gegen sein eigenes Gewissen ankämpfen?
Der Pub paßte mir auch deshalb ins Konzept, weil ich dort etwas trinken konnte. Wer schwitzt, muß auch trinken, und ich brauchte Flüssigkeit.
Vor Sir James traf ich ein. Der Gastraum war fast leer. Biergärten waren bei diesem Wetter attraktiver. Und wenn es regnete, wich man halt kurz nach drinnen aus.
Die Eingangstür blieb offen. Frischluft kam trotzdem nicht rein. Ein älterer Kellner brachte das Bier und erkundigte sich, ob ich auch etwas zu essen haben wollte.
»Was muß denn weg?« fragte ich und grinste dabei.
»Alles.«
»Auch die Sandwichs?«
»Sicher.«
»Dann bringen Sie mir eines. Belegt mit Käse.«
»Geht in Ordnung.« Er verschwand in der Küche, wo das Bestellte frisch zubereitet wurde. Ich aß, trank hin und wieder einen Schluck Bier und dachte dabei an Suko, den ich in diesem Buch gesehen hatte. Aber auch Shao war verschwunden, nur hatte ich von ihr noch keine Spur entdeckt. Auf normale Art und Weise war sie bestimmt nicht entführt
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