0925 - Blutzoll
Messern, mit Pistolen oder Revolvern, sie griffen zu allen Waffen und letztendlich auch zu Gift.
Doch diese Bilder verblaßten. Sie glitten immer weiter weg, und was blieb, war einzig und allein die Realität.
Zwei Menschen.
Shao und Suko.
Erst als ich sie sah und auch mitbekam, daß sie sich normal bewegten, da ging es mir besser. Ich jubelte nicht, ich schrie auch nicht, ich war nur furchtbar erleichtert, ließ Erics Hand los, steckte das Kreuz wieder weg, drehte mich den Freunden zu, und als wir uns in den Armen lagen, waren wir alle drei erleichtert.
»Mein Gott!« stöhnte ich. »Daß wir das noch geschafft haben - ich hätte beinahe nicht mehr daran geglaubt. Nicht nach dieser Zeit.«
»Wieso nicht?« fragte Shao.
»Schließlich seid ihr zwei Tage lang verschwunden gewesen. Das ist schon hart.«
»Was?« schrie Shao. »Was sind wir gewesen?«
»Zwei Tage verschwunden.«
»Das ist doch nicht wahr!« flüsterte Suko.
»Schau auf die Datumsanzeige deiner Uhr, vorausgesetzt, sie funktioniert noch.«
Suko nickte. »Darauf kannst du dich verlassen.« Er hielt seine Uhr so, daß auch Shao mitschauen konnte. Sie schüttelte den Kopf, aber sie gab keinen Kommentar ab, weil es einfach stimmte.
»Zwei Tage«, murmelte sie dann. »Himmel, John, was hast du denn in der Zwischenzeit getan?«
»Ich habe Däumchen gedreht.«
»Dann warst du nicht hier«, sagte sie.
»Zufall.«
Durch ein Räuspern meldete sich Eric Canetti. »Ich will nicht stören«, sagte er dann, »aber wäre es möglich, wenn ich einen Schluck Wasser haben könnte.«
»Sicher«, sagte ich. »Aber wo gibt es hier Wasser?«
»Ich weiß schon Bescheid.« Er deutete in einen dunklen Teil des Speichers. »Dort befindet sich ein Hahn.«
»Bitte.«
Er ging hin. Dabei wurde er von unseren Blicken verfolgt. »Wer ist das?« flüsterte Suko.
»Jemand, der seinen Schatten abgegeben hat.«
»Ach.«
»Dann ist er der…« Shao sprach nicht weiter, weil ich einen Finger auf die Lippen gelegt hatte.
»Später, Freunde, wir werden ihn gemeinsam befragen können. Zunächst einmal müssen wir uns damit abfinden, es geschafft zu haben.«
»Abfinden ist gut«, sagte Shao lachend.
»Das haben wir doch dir zu verdanken«, murmelte Suko.
Ich hob die Schultern.
»Nicht?«
»Nicht nur, Alter.«
»Dann mal raus mit der Sprache!«
Ich kürzte ab und berichtete von meiner Begegnung mit dem Maler und auch noch von der Verbindung, die er trotz allem zu seinem verlorenen Schatten gehabt hatte. »Zu unserem Glück konnte ich diese Tatsache ausnutzen.«
»War es wirklich so einfach?« fragte Shao skeptisch.
»Nicht ganz.«
»Dann sollten wir unseren Freund Eric fragen«, schlug Suko vor und drehte sich zu ihm um.
Es war genau einen Augenblick zu spät. Wir hörten noch ein Lachen, dann bewegten sich ein heller und ein dunkler Schatten über den Boden, aber kein menschlicher Umriß. Es war der Umriß der Fensterluke, die auf- und abschwang, weil Eric sie geöffnet hatte und sich durch das offene Fenster aus dem Staub machte. Dabei störte es ihn nicht, daß er nackt war. Jedenfalls huschte er schnell davon, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen. Vielleicht wären wir ihm im normalen Zustand nachgelaufen, aber wir standen noch unter Schock und so handelten wir, als es eigentlich schon zu spät war. Suko, der sich an der Luke in die Höhe hangelte, um über das Dach des Anbaus zu schauen, kletterte nicht nach draußen, sondern ließ sich wieder zurücksinken. Er schwang dem Boden entgegen, drehte sich um und hob dabei die Schultern an. Sein Blick blieb dabei vor allen Dingen auf mir haften, als wollte er mir die Schuld für das Verschwinden des anderen geben. »Der war schneller als wir, John, und er wird sicherlich auch seine Gründe gehabt haben, denke ich.«
Ich hob die Schultern. »Tut mir leid, ich habe ihn wohl falsch eingeschätzt.«
»Hast du ihn denn auf deiner Seite gesehen?« fragte Shao.
»Sicher.«
»Das war ein Fehler. Er hat nicht mitgespielt. Er ist verschwunden und wird freiwillig nicht mehr zurückkehren.«
Ich ärgerte mich ja selbst, doch dieses Gefühl wurde dadurch verdrängt, daß Shao und Suko es wieder geschafft hatten, diese andere Welt zu verlassen, in der sie so lange gesteckt hatten, was sie beide noch immer nicht realisierten.
Wir sprachen darüber, als wir den Speicher verlassen hatten und das Lokal betraten. Lao Fang sahen wir nicht. Offiziell war noch nicht geöffnet. Wir nahmen uns trotzdem die Freiheit, etwas zu
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