0928 - Das Hexendiadem
Frau dort auf dem Foto eine ziemliche Ähnlichkeit mit mir aufweist. Im ersten Moment dachte ich, Sie hätten ein Foto von mir besorgt.« Sie lächelte. »Aber an diesen wunderschönen Mann dort würde ich mich wahrscheinlich ein Leben lang erinnern. Leider habe ich ihn nie getroffen. Wer sind die beiden?«
Landru musterte das Bild, dann Nicole. »Jetzt, wo Sie's sagen«, murmelte er. »In der Tat, verblüffend. Und wenn ich nicht genau wüsste, dass Mademoiselle Duval bereits Mitte fünfzig ist, würde ich sagen, dass Sie das sind. Hm, Sie sind nicht zufällig eine Tochter oder anderweitige Verwandte Mademoiselle Duvals? Sie ist die Lebensgefährtin unseres Stiftungsgründers, den Sie neben ihr sehen. Professor Zamorra.«
»Schön wär's«, erwiderte Nicole. »Aber es handelt sich lediglich um eine zufällige Ähnlichkeit. Wie Sie aus meinen Papieren ersehen können, stamme ich aus Aix-en-Provence.«
»Ich weiß es. Allerdings gebe ich nicht viel auf irgendwelche Papiere und Referenzen, die mir vorgelegt werden. Ich entscheide ausschließlich nach persönlichen Gesprächen.«
»Ich konnte Sie also beeindrucken?«
»Durchaus.«
»Darf ich Ihnen ebenfalls eine Frage stellen, Professor?«
»Nur zu.«
»Wie kommen eigentlich gerade Sie an diesen höchst verantwortungsvollen Job? Was qualifiziert Sie? Ich meine, um ein wenig Waffengleichheit herzustellen, würde ich auch ganz gerne ein wenig mehr über Sie wissen.«
Er kicherte und rieb sich die Hände. »Aha, nun kommt sie so langsam zum Vorschein, die wahre Mademoiselle Julie Deneuve.«
Nicole runzelte die Stirn. »Wie meinen Sie das?«
»Ganz einfach. Ich habe sofort begriffen, dass Sie nicht annähernd so naiv sind, wie Sie sich mir im Gespräch präsentiert haben. Warum auch immer Sie diese Strategie gewählt haben. Meinen Sie, dass man einem alten Knacker wie mir am besten imponiert, indem man sich als leicht einfältiges, wunderschönes Weibchen präsentiert?«
Nicoles Gesicht zeigte ehrliche Verblüffung. »Woher wollen Sie wissen, wie ich bin?«
»Nun, man könnte sagen, ich habe mir im Laufe meines langen Lebens große Menschenkenntnis angeeignet. Das ist sicher auch so. Aber der eigentliche Grund - und damit komme ich gleichzeitig zur Antwort auf Ihre Frage - ist der, dass ich weit überdurchschnittlich empathisch veranlagt bin.«
Er ließ die Worte etwas wirken, während es Nicole siedend heiß durchfuhr. Das hatte sie nicht gewusst. Tatsächlich nicht! Sonst wäre sie die Sache hier anders angegangen oder hätte von vorne hinein darauf verzichtet.
Bei Merlins hohlem Backenzahn. Wenn das mal nicht im Desaster für mich endet…
»Empathisch, aha.«
Der Spott sprühte nun geradezu aus Landrus Augen. »Sie wissen, was das ist?«
»Natürlich. Empathie ist Einfühlungsvermögen in andere. Gute Empathen können die Gefühlswelt ihrer Mitmenschen ganzheitlich erfassen.«
»So ist es, Mademoiselle Deneuve, so ist es. Ich spüre sofort, ob mir Menschen ihr wahres Gesicht zeigen oder ob sie mir etwas vormachen. Dazu muss ich sie nicht mal sehen. Es genügt, wenn ich sie ein wenig reden höre. Hm. Und das ist der Grund, warum mich Professor Zamorra schon seit Jahren nötigt, so lange den Stiftungsvorstand zu geben, wie es nur geht. Er schätzt diese Fähigkeit meinerseits über alle Maßen, denn sie erlaubt es, in fast 100 Prozent der Fälle die Spreu vom Weizen zu trennen. In meiner nunmehr langen Karriere als Stiftungsvorstand habe ich mich erst ein einziges Mal ganz offensichtlich geirrt.«
»Und wann war das?«
Er ging nicht darauf ein. »Wollen wir es also zusammen versuchen, Mademoiselle Deneuve? Ich würde Sie gerne ein, zwei Interviews zu Testzwecken machen lassen.«
Nicole nickte. »Gerne. Ich freue mich. Wozu brauchen Sie die Interviews aber überhaupt? Es genügt doch ein einfaches Telefonat.«
Landru kicherte erneut. »Stimmt schon. Zamorra vertraut mir zwar voll, aber wir haben uns entschieden, Unterlagen zu sammeln, um Ab- oder Zusagen genauestens begründen zu können. Das ist auch deswegen wichtig, um nicht sofort wieder als kriminelle Institution in die Medien zu kommen. So können wir unsere Entscheidungen, auch der Öffentlichkeit gegenüber, obwohl wir das eigentlich gar nicht müssten, in allen Details belegen.«
»Das ist nachvollziehbar.«
»Nicht wahr? Hilfe für andere ist mitunter eine schwierige Angelegenheit. Aber jetzt habe ich mir den Mund trocken geredet. Zeit für einen Tee, würde ich sagen. Wollen Sie
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