0928 - Das Hexendiadem
schließen, dass Sie schon einmal eine Begegnung damit hatten? Oder wissen Sie einfach nicht, wovon Sie sprechen?«
Nicole nickte. »Oh doch, das weiß ich, Professor. Ich hatte tatsächlich schon mal eine unheimliche Begegnung und habe tapfer standgehalten.«
»Ich bin schwer beeindruckt. Wo war das denn?«
»Es war vor einigen Jahren, da habe ich mit ein paar Bekannten eine Tour durch Deutschland gemacht. Im Schwarzwald haben wir in einem alten Hotel übernachtet, das als Spukhaus verrufen war.«
Nicole schaffte es tatsächlich, Tränen der Erregung in ihren Augen erscheinen zu lassen. Hätte Landru sie gekannt, hätte er das Schauspiel sofort bemerkt. Denn echte Erregung ging bei Nicole immer mit dem Erscheinen der goldfarbenen Tüpfelchen in ihren Pupillen einher.
»Was soll ich sagen, mitten in der Nacht wurden plötzlich Schritte im Stockwerk über uns hörbar. Aber da war niemand, denn es war gesperrt. Während alle anderen die Hosen gestrichen voll hatten, bin ich durchs Treppenhaus in den nächsten Stock. Direkt vor mir waren die Schritte, sie entfernten sich und kamen wieder näher. Als ich das Licht anmachte, war da aber niemand. Trotzdem habe ich den Geist angesprochen, denn es handelte sich wohl um den früheren Besitzer, der auf der Treppe gefallen war und sich das Genick gebrochen hatte. Danach waren die Schritte plötzlich verschwunden.«
»Beeindruckend, in der Tat.« Landru fuchtelte mit den Armen, was die Dunstglocke in Wallung brachte. Nicole beschloss, in den nächsten Minuten nur noch flach zu atmen.
»Ja, nicht wahr? Diese Begegnung hat durchaus einen gewissen Nervenkitzel bei mir verursacht, Professor. Wissen Sie, ich meine, so einen, wie ich ihn bei anderen Sachen nicht verspüre. Das würde ich gerne wieder erleben.«
»Sie glauben also, dass sich das Übersinnliche, Dämonische, Schwarzmagische auf irgendwelche Schritte Unsichtbarer beschränkt?«
»Ich… nein, keine Ahnung. Wohl nicht.«
Er räusperte sich und sah ihr nun direkt in die Augen. »Nun, ich denke, ich werde Sie wohl enttäuschen müssen, Mademoiselle Deneuve.«
»Dann bekomme ich den Job also nicht?«
»Habe ich das gesagt? Die Enttäuschung für Sie dürfte vielmehr darin liegen, dass Sie sich ganz offensichtlich ein falsches Bild dieser Tätigkeit machen, was den Faktor Begegnung mit dem Übersinnlichen anbelangt. Denn den wird es für Sie nicht geben. Ihre Aufgabe besteht ausschließlich darin, den Bittsteller und dessen Umgebung, Polizei, was auch immer, ausführlich zu interviewen und irgendwelche Beweise, Unterlagen, diese Dinge eben, zu besorgen. Das alles haben Sie mir vorzulegen und ich entscheide dann darüber, mit welchem Typ Mensch wir es zu tun haben.«
Landru grinste nun breit. »Wissen Sie, im Wesentlichen sind das drei Typen, Mademoiselle. Der erste ist der Betrüger, der sich mit voller Absicht bereichern will. Der zweite ist der Psycho, der eher psychiatrische Hilfe als Geld aus unserer Stiftung benötigt. Und der dritte ist der Volltreffer, dem die finsteren Mächte tatsächlich Schlimmes angetan haben, in welcher Variation auch immer. Unaufregend ist der Job aber trotzdem nicht, den unsere Interviewer machen. Sie werden nämlich mit allen möglichen menschlichen Abgründen konfrontiert, mit Hass, Aggression, unermesslichem Leid. Das ist vor allem kaum auszuhalten, wenn Kinder betroffen sind. Da ist es unbedingt nötig, dass unsere Interviewer auch psychologisches Geschick aufweisen. Zudem reist man viel, manchmal rund um die Welt. Und hin und wieder ist es sicher nicht schlecht, wenn man sich auch körperlich verteidigen kann.«
»Alles kein Problem bei mir«, erwiderte Nicole. »Ich beherrsche verschiedene Kampfkünste, kann mit Menschen aller Art umgehen, bin Single und jederzeit einsetzbar. Und ich kann hart recherchieren, wenn es sein muss.«
»Hm. Nun gut.« Landru erhob sich und betrachtete sie forschend. »Das wären alles Eigenschaften, wie sie unsere Interviewer brauchten. Aber schön reden können viele. Nun gut, ich werde Ihnen eine Chance geben und Sie testen, Mademoiselle Deneuve. Hm, ich weiß nicht, aber es kommt mir so vor, als ob ich schon mal irgendwo gesehen habe.«
Es war zwar durchaus möglich, sogar wahrscheinlich, dass Landru das Foto hinter sich schon seit Jahren nicht mehr bewusst ansah. Aber irgendwann würde er darauf kommen. Nicole beschloss also die totale Nachvorneverteidigung. »Das ist wohl leicht erklärbar. Mir ist gleich am Anfang aufgefallen, dass die
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