0928 - Das Hexendiadem
vielleicht nicht doch einen mit mir trinken?«
»Nein, danke.«
Nicoles Gedanken fanden wieder in die Jetztzeit zurück. Abwechselnd sah sie nach draußen und Landru beim Telefonieren zu. Sie kam direkt aus London, wo sie heute Vormittag ein weiteres Interview abgeschlossen hatte. Das dritte insgesamt. Ein junger Mann namens Peter Lansing behauptete, nachts regelmäßig von einem Succubus aufgesucht zu werden, einer wunderschönen Dämonin, die sich fünf- oder sechsmal mit ihm paare.
Das hättest du wohl gerne.
Dadurch sei er morgens so erschöpft, dass er nicht mehr aus dem Bett komme und deswegen bereits seinen Job als Investmentbanker verloren habe.
Landru beendete das Gespräch und drückte auf die rote Aus-Taste. »Ein Lügner«, sagte er und erhob sich. »Nichts, mit was man länger seine Zeit verschwenden sollte. Guten Tag, Mademoiselle Deneuve. Ich sehe, dass Sie wohlbehalten wieder zurück sind. Das freut mich. Wie war's?«
»Etwas anstrengend, Professor. Wenn Sie mich fragen, braucht Mister Lansing ganz dringend psychiatrische Hilfe…«
Auf Landrus Stirn erschien eine Unmutsfalte. »Ich frage Sie aber nicht, Mademoiselle. Diese Beurteilungen sind ganz alleine meine Sache. Ich erwähnte glaube ich bereits, dass Ihnen das nicht zusteht.«
Nicole wollte aufbrausen, hielt sich dann aber zurück. Stattdessen schob sie ihm die Unterlagen hin. Er legte kommentarlos die Hand darauf.
»Ich habe Ihnen gleich den nächsten Auftrag, Mademoiselle Deneuve. Können Sie morgen früh nach Fécamp fahren?«
»Natürlich, kein Problem. Das ist an der Kanalküste, nicht?«
»Genau.«
»Wen soll ich besuchen? Um was geht es?«
»Zuerst einmal: Wollen Sie vielleicht eine Tasse Tee?«
»Nein danke.«
»Noch immer nicht. Also gut, ich werde Sie deswegen auf absehbare Zeit nicht mehr fragen. Sie haben sicher nichts dagegen, wenn ich einen trinke?«
»Nur zu.«
Landru holte sich eine Tasse und schlürfte daran. Auch das tat er, so hatte Nicole ihn im Verdacht, absichtlich. Doch während sie sich an seinen muffeligen Geruch bereits zu gewöhnen begann, machte sie das Schlürfen fast rasend.
Irgendwann reden wir nochmals anders miteinander, mein Freund…
»Gestern war eine junge Frau namens Ciranoush Etcheberria hier im Büro.«
»Klingt baskisch.«
»Ja. Aber Mademoiselle Etcheberria arbeitet als Hausmädchen auf dem Besitz des Grafen Caraman bei Fécamp. Sie ist mit einem Kerl namens, lassen Sie mich nachschauen« - Er faltete einen Zettel auf - »Ja, hier, Jerome Dufy, zusammen, der ebenfalls auf dem Gut lebt. Und dieser Jerome soll das Opfer eines uralten Hexenfluchs geworden sein.«
»Inwiefern?«
»Mehr kann ich Ihnen im Moment auch nicht sagen. Aber das ist auch nicht nötig. Schließlich habe ich ja Sie dafür, um mehr herauszufinden. Dafür bekommen Sie gutes Geld. Oder nicht?«
Du mich auch.
»Ja.«
»Auf jeden Fall scheint mir an der Sache was dran zu sein. Zumindest glaubt Mademoiselle Etcheberria ganz fest daran, dass etwas dran ist. Ich gebe Ihnen ihre Handynummer. Setzen Sie sich mit ihr in Verbindung und reden Sie zuerst mit ihr. Darum hat sie mich gebeten. Sie sagte, Sie müssten das eine oder andere wissen, bevor Sie Monsieur Dufy interviewen.«
***
Landgut Caraman
Die schönste Frau der Welt begehrte ihn. Für ihn war sie das tatsächlich und er hätte seine letzten beiden Flaschen 20 Jahre alten Calvados darauf verwettet, dass die allermeisten Männer seine Ansicht teilten. Dass er die Leidenschaft dieser wunderschönen Frau erwiderte und gerade deswegen ein äußerst unglücklicher junger Mann war, war allerdings eine völlig überraschende Tatsache, die so mancher, selbst nach näherer Erläuterung, nur schwer verstanden hätte. Wenn überhaupt.
Nachdenklich starrte Jerome Dufy über die kleine Bucht hinweg, die die Nordsee in Jahrmillionen währender Arbeit in die Küstenlinie eingestanzt hatte. Seine Blicke galten Maison Caraman. Der uralte Grafensitz derer von Caraman, ein schlossähnliches Gebäude mit zwei Rundtürmen, erhob sich trutzig auf moosbewachsenen Klippen, genau auf der anderen Seite der annähernd runden Bucht. Und weil Dufys Sitz etwas erhöht war, konnte er auch das restliche Gelände von Maison Caraman gut überblicken. Er sah auf einen lang gezogenen, wunderbar gepflegten Park mit einem weiß-roten Fachwerkhaus darin und ein Stück dahinter die Pferderennbahn. Das war seine Heimat von Kindesbeinen an.
Der junge Mann seufzte leise und zog seine Knie fester
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