0928 - Das Hexendiadem
los, die wilde Jagd. »Hey hey!«, rief Jerome übermütig und beugte sich tief über den Pferdehals, während der Hengst langsam auf Touren kam. Immer schneller wurde er, der feine Sand unter seinen Hufen spritzte nach allen Seiten weg. Gut einen Kilometer ging es so im gestreckten Galopp. Jerome genoss das Trommeln der Hufe, das im Sand seltsam dumpf klang, das rhythmische Schnauben des Hengstes und den stärker werdenden Geruch nach Pferdeschweiß. Das machte Spaß!
Von einem Moment zum anderen signalisierte sein siebter Sinn, dass etwas nicht stimmte. Sein Nacken zog sich schmerzhaft zusammen.
Gefahr!
Sie kam aus dem Nichts. Ein krächzender Laut löste sich aus Jeromes Kehle. Er spürte übergangslos den Druck eines zweiten Körpers an Rücken und Gesäß. Zwei nackte Arme fuhren an seinen Hüften vorbei und legten sich auf seine Brust. Sofort entstand ein Druck, der ihm fast die Luft abschnürte. Eisige Kälte umwehte ihn, es stank auf einmal fürchterlich.
Mit einem hohen, schrillen Schrei fuhr Jerome herum. Instinktiv versuchte er sich zu befreien, wand sich, versuchte die fremden Hände von seiner Brust zu reißen. Vergeblich.
Vor ihm begann die Luft zu flimmern. Das Flimmern verdichtete sich zu einer Art Spiegel, denn Jerome sah sich und Napoleon plötzlich auf sich selbst zu galoppieren! In nur zwei Metern Entfernung! Es wirkte, als würde die Gruppe im nächsten Augenblick aufeinander prallen.
Adrenalin schoss durch Jeromes Körper, während er unwillkürlich den Aufprall erwartete.
Jetzt!
Nichts passierte. Er riss die Augen wieder auf.
Hinter ihm saß - Madeleine Brissac! Ihr Kopf schob sich soeben über seine Schulter, ihre Wange presste sich fest an seine. Die strähnigen, blonden Haare und die tief schwarzen Augen in dem grausam verzerrten Gesicht machten ihm aber nicht annähernd solche Angst wie die fürchterliche Kälte, die von der rauen Wange ausging, sich nun blitzschnell in seinen Körper vor fraß und ihn fast vollkommen erstarren ließ. Nur zu genau spürte er, dass es keine Kälte von dieser Welt war, sondern eine, die seine Seele berührte. Sein Unsterbliches…
Obwohl die Gruppe und ihr Spiegelbild nach wie vor in vollem Tempo aufeinander zu galoppierte, blieb der Abstand doch immer gleich, sodass Jerome alles genau beobachten konnte.
Musste!
Denn die Hexe schien genau das zu wollen; dass er jedes fürchterliche Detail mitbekam.
Ein höhnisches Lachen verzerrte Brissacs Gesicht. Einen Moment lang sah der junge Mann zwei der roten Punkte, die ihren Körper überzogen, ganz aus der Nähe. Einer lag auf dem Wangenknochen, einer auf der Stirn direkt über dem Auge. Es waren Wunden, das registrierte er trotz seiner Angst genau. Dann schob sich auch schon Brissacs Hände von seiner Brust hoch zu seinem Hals und drückten unbarmherzig zu. Alles geschah in gespenstischer Lautlosigkeit.
Jerome röchelte, während seine Augen aus den Höhlen traten. Die Finger der Hexe waren wie Schraubstöcke. Er schlug mit den Armen um sich und versuchte, sich aus dem Todesgriff der Unheimlichen zu befreien. Ohne die geringste Chance. Und wieder wurde das Gefühl, seine Seele zu verlieren, übermächtig in ihm. Eine furchtbarere Erfahrung als diese konnte es nicht geben.
Gleichzeitig fing Napoleon panisch an zu wiehern. So, als registriere er erst jetzt, was eigentlich los war. Er stieg und buckelte, schlug seitlich und nach hinten aus, um das unbegreifliche Etwas loszuwerden, das sich da aus dem Nichts heraus auf seine Hinterhand gesetzt hatte. Was immer der Hengst auch anstellte, es klappte nicht. Jerome und die Hexe saßen wie angewachsen auf dem Pferderücken fest.
Jeromes Lungen schrien nach Sauerstoff, während er im Griff der Hexe zuckte. Er hatte das Gefühl, ein Ballon blase sich in seiner Brust zu übermächtiger Größe auf und verdrängte alles andere darin. Dann explodierten die ersten roten Kreise vor seinen Augen. Alles, was er nun noch wahrnahm, hatte nun einen roten Schimmer, verschwamm, als würde bewegtes Wasser darüber fließen.
Aus.
Plötzlich strömte der Sauerstoff wieder. Jerome schnappte danach wie ein Ertrinkender, die frische Luft peinigte seine fast schon erschlafften Lungen wie mit tausend Nadelstichen. Er japste, hustete, würgte. Es dauerte einige Augenblicke, bis er wieder etwas klarer sah. Gleichzeitig spürte er, wie sich die Hexe nach vorne beugte und ihre eiskalten Lippen an sein Ohr brachte. Wieder hörte er dieses leise, böse Kichern.
»Na, mein lieber
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