0928 - Das Hexendiadem
betrat. Über der alten Zinkbadewanne hing zartgrüne Unterwäsche, in der Wäschebox befanden sich noch ein paar gebrauchte Sachen der Toten. Schnell machte sie den Deckel wieder zu.
Als Nicole gerade aus ihrem Kleid stieg, um zu duschen, klopfte es plötzlich heftig an die Tür. Seufzend zog sie den Reißverschluss wieder hoch. »Ich hoffe, dass nicht du das bist, Vilma«, murmelte sie.
Natürlich war es nicht Vilma. Ciranoush fiel fast mit der Tür ins Zimmer. Sie starrte Nicole aus panisch aufgerissenen Augen an und hielt ihr ein Handy entgegen.
»Ist das Guthaben abgelaufen? Oder hat dir jemand die SIM-Karte geklaut?«
»Nein, nein. Ich… ich hatte mein Handy zu Hause vergessen. Jerome hat drauf gesprochen. Es ist wieder was passiert. Die Hexe hat ihn… ihn angegriffen, oh Gott.«
Nicole kniff die Augen zusammen. »Was ist passiert?«
Cira war nun vollkommen verstört. »Sie hat ihn… laufen lassen. Ich weiß nicht, ob er verletzt ist.«
»Wo ist er?«
Cira drehte sich halb. Ihr Körper wirkte so angespannt wie ein Tiger vor dem Sprung. »Er hat nochmals angerufen, Nicole. Aus dem Auto. Er ist nach Fécamp gefahren, in seine Lieblingskneipe, wo er sich die Hexe schön saufen will.«
»Das hat er gesagt?«
»Ja. Wir müssen unbedingt dort hin.«
Nicole drängte sich an Cira vorbei und fasste sie am Oberarm. »Na, was ist? Worauf warten wir noch?«
Mit etwas überhöhter Geschwindigkeit fuhren sie nach Fécamp. Sie fanden Jerome im Bistrot Benedictine, nur einen Steinwurf vom Palais Benedictine entfernt. Die Flasche Benediktinerlikör, eine weltberühmte Spezialität Fécamps, die im Palais nebenan gebraut wurde, stand halbleer vor Jerome auf dem Tisch, in Gesellschaft zweier bereits geleerter Flaschen Bier. Der junge Mann saß still da, stierte in die Likörflasche und brabbelte irgendetwas vor sich hin.
»Sturzbesoffen, dein Freund«, konstatierte Nicole wenig einfühlsam. »Na, dann wollen wir mal zahlen und ihn aufladen. Ach ja, das mit dem Zahlen übernimmst natürlich selbstverständlich du.«
Cira nickte und beglich die Rechnung beim Wirt.
»Was ist denn heute mit Jerome los?«, wollte der wissen. »Brüllt hier rum, dass er von einer Hexe gejagt wird. So ein Spinner. Wenn ihr nicht gekommen wärt, wäre er demnächst hier rausgeflogen. Der verscheucht mir ja alle anderen Gäste.« Er grinste. »Sag mal, mit der Hexe meint er nicht zufällig dich? Wenn ja, dann könntest du mich ruhig auch mal jagen.«
»Ich weiß nicht, ob du das überleben würdest«, murmelte Ciranoush. Ein gefährliches Leuchten lag plötzlich in ihren Augen.
Der Wirt zuckte zusammen. »Schon gut, entschuldige. War nicht so gemeint.«
»Mein armes Herz«, sagte Cira, die sich neben Jerome setzte und über seinen Handrücken streichelte. »Was hat sie dir getan?«
Er sah sie aus glasigen Triefaugen an. Dann lallte er plötzlich los. »Du… verdammte Hexe. Lass mich… in Frieden.« Unbeholfen schubste er sie weg und schlug nach ihr. Ein schriller Schrei löste sich aus seiner Kehle. Empört sahen andere Gäste herüber. Nicole wollte gerade eingreifen, als Jerome plötzlich die Augen verdrehte und bewusstlos zusammensackte.
Nicole erstarrte für einen Moment. Kein Zweifel. Sie hatte soeben einen Hauch magischer Energie gespürt! Nachdenklich starrte sie Ciranoush an. Die bemühte sich, den Bewusstlosen hinter dem Tisch hervor zu ziehen. Nicole nahm ihn schließlich, hievte ihn sich fast spielerisch leicht auf die Schultern und drapierte ihn auf dem Beifahrersitz seines Autos, das nicht weit vom Bistro stand. Cira, die den Autoschlüssel in Jeromes Hosentasche gefunden hatte, würde den Wagen fahren. Denn Nicole hatte den Transport in ihrem Cadillac kategorisch abgelehnt. »Nicht bei mir. Wenn er die Lederpolster vollkotzt, hat die Hexe Pech gehabt. Dann bringe ich ihn schon vorher um.«
Sie fuhren zurück nach Caraman.
»Normalerweise wohnt er bei seiner Großmutter dort drüben«, sagte Cira und deutete auf das weißrote Fachwerkhaus. »Aber die alte Dame muss ihn so nicht unbedingt sehen. Sie würde sich zu Tode erschrecken. Wir tragen ihn in mein Zimmer. Soll er dort seinen Rausch ausschlafen.«
Zwei Pferdepfleger halfen den Frauen, Jerome zu transportieren. »Was ist denn in den gefahren?«, fragte Ferdinand Bonne. »Bisher habe ich unseren Kleinen noch nie wirklich besoffen gesehen. Hast du etwa mit ihm Schluss gemacht, Cira?«
»Natürlich nicht.«
»Wenn du's je mal tust, sag's mir bitte, damit ich dir
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