0928 - Das Hexendiadem
es auch trage. Seht's euch genau an.«
Nicole bekam es zuerst in die Hand. Cira beugte sich herüber. »Auf dem Medaillon, das ist doch das Wappen der Caramans«, stellte die Dämonenjägerin fest.
»Ja. Warum wohl hätte sie mir das schenken sollen, wenn ich keiner von ihnen wäre?« Er nahm das Goldkettchen zurück und betrachtete andächtig das Medaillon. »Bisher war ich der Meinung, meinen Vater niemals gekannt zu haben, weil meine Mutter mir immer erzählt hat, dass es sich um eine Zufallsbekanntschaft gehandelt habe, von der sie nicht einmal den Namen wisse. Heute würde man dazu wohl One-Night-Stand sagen.« Er kicherte. »Aber stimmt diese Version auch? Ich glaube immer mehr, dass meine Mutter Monsieur Maurices heimliche Geliebte war. Und dass ich meinen Vater schon seit meiner Kindheit vor Augen habe. Die ganze Zeit über.«
»Gut«, sagte Nicole. »Oder auch nicht. Bevor ihr wieder zum Arbeiten müsst: Du wolltest doch noch etwas erzählen, Cira.«
»Ja.« Sie beugte sich nach vorne und reduzierte ihr Stimmvolumen unwillkürlich zu einem lauteren Flüstern, so, als hänge die Hexe irgendwo in den ringsum stehenden Bäumen und lausche. »Ich weiß jetzt einiges mehr über sie. Über die Hexe, meine ich. Denn ich habe fast die ganze Nacht durch in den Chroniken gelesen.«
Wann schläfst du eigentlich, Mädchen , dachte Nicole. Du siehst extrem fit aus, dabei müsstest du eigentlich vollkommen übermüdet sein…
»Ich hab euch ja gerade vorhin erzählt, dass Gräfin Felipa ihre Nebenbuhlerin Madeleine Brissac viele Wochen lang gefoltert hat. Danach hat sie sie, als sie genug davon hatte, mit einem Galgenstrick erhängt, mit dem zuvor schon ein Magier vom Leben zum Tod befördert worden war, wie's in der Chronik so schön heißt. Die Brissac könnte genau deswegen, und weil sie sich mit Hexenkunst beschäftigt hatte, zur Wiedergängerin geworden sein. Kann das sein, Nicole?«
»Durchaus möglich, ja. Weißt du noch mehr?«
»Ein bisschen, ja. Tatsächlich ist die Brissac wohl alle 77 Jahre erschienen und hat grausam unter den Caramans gewütet.« Ciranoush zögerte plötzlich.
»Na, was ist?«, drängte sie Jerome.
»Sie hat… ich meine, sie hat ihre Opfer zuerst Wochen lang auf übelste Art und Weise gequält, bevor sie sie dann grausam umgebracht hat. Alle 77 Jahre wird so ein Fall in der Chronik beschrieben. Und der letzte Todesfall, der mit der Hexe in Zusammenhang gebracht wird, hat sich 1928 ereignet.«
»Aha«, sagte Nicole. »Dann kramen wir mal unsere Grundschulkenntnisse Rechnen hervor und addieren 77 dazu. Zu 1928 meine ich. Dann landen wir exakt im Jahr 2005. Das ist aber vier Jahre her. Jerome, ist vor vier Jahren etwas auf dem Gut passiert?«
Er sah sie über sein Honigcroissant hinweg an. »Nein, nichts in dieser Richtung jedenfalls. Mensch, wenn ich's richtig betrachte, dann muss meine Grandmaman Lin das letzte Auftreten der Hexe noch live mitbekommen haben. 1928 war sie, Moment, ja, 17 Jahre alt. Das ist wohl der Grund, warum sie so gut Bescheid weiß.« Jerome war plötzlich ganz aufgeregt.
»So ist es«, bestätigte Nicole und schenkte sich noch einen Kaffee ein. »Das ist mir gleich aufgefallen, als du von deinem Gespräch mit ihr erzählt hast. Aber etwas kann nicht stimmen an den Fakten, die wir haben. Die Brissac hätte bereits 2005 wieder auftauchen müssen, wie gesagt. Entweder stimmt 1928 nicht. Oder damals ist etwas Außergewöhnliches passiert, das den Fluch irgendwie beeinflusst.«
»Vielleicht«, sagte Ciranoush und ihre grünen Augen schimmerten plötzlich feucht vor Erregung. »Damals hat sich die Hexe den Onkel von Monsieur Maurice geholt, Davide hieß der, glaube ich. Er war der Älteste und der Schlossherr. Allerdings hat man seine Leiche bis heute nicht gefunden, wenn ich das richtig gelesen habe. Und erst nach Davides Verschwinden ist Othon de Caraman, der Vater unseres Monsieur Maurice, Schlossherr geworden.«
»Alles schön und gut«, sagte Jerome und sein Gesicht nahm einen unendlich traurigen Ausdruck an, während er auf die Uhr blickte. »Ich muss gleich wieder gehen. Ich frage mich allerdings, ob es sich überhaupt noch lohnt. Bald bin ich ohnehin am Arsch.«
»Lass dich jetzt bloß nicht hängen, Jerome«, beschwor ihn Ciranoush und legte ihre Hand auf die seine. »Glaubst du, ich mache mir die ganze Arbeit, damit du hier in Selbstmitleid versinkst? Ich sage dir, es gibt Hoffnung.«
»Ach ja? Ich denke mal, dass meine bedauernswerten Vorgänger
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