0928 - Das Hexendiadem
Sicher nicht nur aus dem Internet.«
Sie lächelte fast ein wenig verlegen. »Nicht nur, da hast du recht, Nicole. Ich sagte ja bereits, dass ich aus einem kleinen abgeschiedenen Dorf im Baskenland komme. Da leben die Menschen noch ursprünglicher. Es gibt alte Leute bei uns im Dorf, die noch sehr viel über die unsichtbare Welt wissen. Und die Hexen haben in unserem Landstrich schon immer eine große Rolle gespielt. Im Mittelalter war er sogar als Rückzugsgebiet für Hexen verschrien.« Sie stockte einen Moment. »Na ja, die Menschen bei uns wissen, dass es das Böse gibt und sie wissen, wie man es bekämpfen muss. Mein Großvater war auch so eine Art Schamane und hat mir viel erzählt.«
»Hm«, machte Nicole. »Ein Magier also.«
***
Als Jerome und Ciranoush wieder zum Arbeiten aufbrachen, suchte Nicole nach Grandmaman Lin. Sie fand die alte Dame in ihrem Gemüsegärtchen. Pauline Lamont goss gerade den Kohl. Unglaublich, welche Vitalität sie mit ihren knapp 100 Jahren noch ausstrahlte.
Alte Damen waren oft geschwätzig. Und so hoffte Nicole, von ihr noch mehr über die Hexe zu erfahren. Nach dem Austausch einiger Nettigkeiten sagte die Dämonenjägerin, die Pauline Lamont etwas zur Hand ging, plötzlich: »Sie haben einen prächtigen Enkel, Madame Lamont. Jerome ist ein äußerst angenehmer Mensch.«
Sie hielt inne mit dem Gießen, schob sich die Brille auf die Nasenspitze und lächelte. »Ja, nicht wahr? Ich liebe ihn sehr. Er ist ein guter Junge. Fleißig, wohl erzogen, höflich. Ich würde mich freuen, wenn er mal eine ebenso gute Frau heiratet.«
Nicole nickte. Unabsichtlich hatte ihr Madame Lamont in die Karten gespielt. »Ja, natürlich«, nahm sie die Steilvorlage umgehend auf, »aber er scheint momentan ziemliche Probleme mit einer Madeleine Brissac zu haben. Sie hat ihn bereits zweimal auf übelste Art und Weise angegriffen.«
Pauline Lamont erstarrte. Auf einen Schlag wich alle Farbe aus ihrem Gesicht. Sie wankte. Nicole musste sie stützen.
»Was ist plötzlich mit Ihnen, Madame? Ist Ihnen schlecht geworden? Soll ich Sie ins Haus bringen? Brauchen Sie irgendwelche Medikamente?«
»Nein, danke, es geht schon wieder«, ächzte sie und richtete ihren schmalen, gebrechlichen Körper wieder auf. »Zwei… zweimal?«
»Ja. So sagte er. Wer ist denn diese Madeleine? Kennen Sie sie? Er sagte etwas davon, dass sie eine Hexe sei. Wenn das stimmt, dann könnte ich sicher helfen, Madame. Ich bin Parapsychologin und habe bereits gegen Hexen und andere Dämonische gekämpft.« Nicole lächelte. »Und wie Sie sehen, bin ich immer siegreich geblieben. Sonst wäre ich nicht mehr hier.«
»Nein, bitte, gehen Sie jetzt. Das ist etwas, das Sie nichts angeht.« Pauline Lamont zitterte, als ob das Thermometer schlagartig unter minus zehn Grad gefallen wäre.
»Wenn die Hexe alle 77 Jahre auftaucht, dann müssen Sie ihr letztes Auftauchen noch leibhaftig miterlebt haben. Ist es so? 1928 war das, nicht wahr? Wissen Sie deshalb so genau, wer Madeleine Brissac ist? Was ist damals passiert, Madame Lamont? Warum ist Monsieur Davide verschwunden? Hat Aleister Crowley etwas damit zu tun? Und warum taucht die Hexe plötzlich vier Jahre zu spät auf?«
Nicole bot ihre ganzen Überredungskünste auf, aber sie hatte keinen Erfolg. Die alte Dame sagte kein Wort mehr zum Thema, obwohl es sie durchaus zu interessieren schien, woher Nicole ihr Wissen hatte.
»Man kann das Unglück auch herbei reden«, flüsterte Pauline Lamont.
Dann muss ich es eben anders versuchen , dachte Nicole mit einer Mischung aus Enttäuschung und Wut. Vielleicht ist ja der Graf etwas zugänglicher…
Sie traf Monsieur Maurice bei Ausbesserungsarbeiten in den Stallungen an. Lächelnd erzählte sie ihm, dass sie sich sehr für Geschichte interessiere und bat, Einblicke in die Chroniken nehmen zu dürfen. Der Schlossherr gewährte es ihr gerne und führte sie sogar höchstpersönlich ins Archiv, das sich in einem großen, fensterlosen Kellerraum befand. Zuvor musste Monsieur Maurice eine schwere Feuerschutztür aufschließen.
Trübes Licht flammte auf. Auf langen Regalen lagerten fein säuberlich aufgestellt Register, die zum Teil uralte Dokumente enthielten. Die Chroniken füllten alleine zwei dreistöckige Regale. Dummerweise, so erklärte Monsieur Maurice, habe es seine Sippe noch immer nicht geschafft, die Familiengeschichte in leicht lesbare Form bringen zu lassen oder sie gar zu digitalisieren. Nicole müsse sich also mit den in dickes
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