0935 - Aibons klagende Felsen
in der letzten halben Stunde frischer geworden zu sein. Nach wie vor zeigte der Himmel die sagenhafte Weite, nur war er nicht mehr so leer. Wolken lagen wie große Wattebäusche inmitten des Azurblaus und ließen sich treiben.
Ich war schon vorgegangen. Mein Weg führte mich zu den Klippen.
Das Meer konnte ich bereits sehen. Eine weite, unendlich erscheinende Fläche, die nie zur Ruhe kam. Wo die Wellen sich vergnügten, wo das Wasser schaukelte, wo die Gischtkämme auf den wie Glas aussehenden Wogen tanzten und wo in der Ferne zwei Schiffe dieses wogende Meer durchpflügten. Ein wunderschönes Bild, auch vor mir, wo die Küste steil nach unten fiel. Das Wasser donnerte gegen die Felsen. Wutschreie des Ozeans, der hier seine Grenzen gefunden hatte.
»Na, John, was sagst du?«
»Eine schöne Gegend.«
Bill lachte leise. »Die wir durchwandern werden, um Joanna zu finden.«
Ich deutete in die Tiefe. Dabei beschrieb meine Hand einen Kreis. »Du bist dir also sicher, daß wir hier richtig sind? Im Gebiet der singenden Felsen.«
»Wenn die Bücher nicht gelogen haben, schon.«
»Okay, dann suchen wir. Aber nicht hier oben. Ich denke, wir sollten hinabsteigen.«
»Das dachte ich auch.«
Über die Probleme redeten wir nicht. Es war auch nicht einfach für uns, einen gangbaren Weg zu finden. Er durfte nicht zu steil sein, sonst hätten wir eine Bergsteigerausrüstung gebraucht. Wir bewegten uns in südliche Richtung, immer das Geräusch des ewig wehenden Windes in den Ohren.
Die Vegetation änderte sich, als hätte die Natur hier aus einer Laune hervor eine Insel geschaffen.
Von einem Wald konnten wir dabei nicht reden, eher von niedrig wachsenden Bäumen. Kleine Birken und Latschenkiefern, dazwischen trockenes Gestrüpp und auch recht hohes, starres, gelblich schimmerndes Gras.
Wir waren in dem sich absenkenden Gelände in eine Mulde gelangt, und ich konnte mir vorstellen, daß sich diese Stelle gut als Versteck für eine entführte Person eignete.
Ich lehnte mich gegen einen aus dem Boden ragenden Stein und schaute nach unten. Dabei war mir sofort etwas aufgefallen. Etwas, das nicht so recht in die felsige Umgebung hineinpaßte.
Ich stieß Bill an, der nichts gesehen hatte, weil er in eine andere Richtung geschaut hatte. Der Reporter sah meinen ausgestreckten Arm und mich in die Tiefe deuten.
»Was ist da?«
»Es sieht aus wie ein Unterschlupf, eine primitive Hütte oder so ähnlich.«
Bill brauchte einige Sekunden, bis er es auch sah. »Tatsächlich, du hast recht.«
»Das Versteck?« murmelte ich.
Bill zog den Mund schief. »Glaubst du wirklich, daß wir ein derartiges Glück haben?«
»Das wird sich noch herausstellen, wenn wir die Hütte besichtigt haben.« Ich stützte mich von meiner felsigen Lehne ab und suchte einen Pfad, der zur Hütte führte.
Natürlich gab es keinen, aber zwischen den Steinen und auch den flacher gewordenen Klippenrändern war Platz genug, um immer wieder Halt zu finden.
Aus der Felswüste hob sich die »Hütte« mit den Krüppelkiefern davor deutlich ab.
Das Meer ließ sich nicht beirren. Es schleuderte unter uns die Wellen gegen den Fels und einen sehr schmalen Strandabschnitt. In der heißen Zeit sicherlich eine ideale und intime Badebucht, vorausgesetzt, man scheute den beschwerlichen Weg nicht.
Wir waren allein. Ich dachte auch nicht mehr so intensiv an die beiden Männer aus dem kleinen Hotel. Einen fremden Wagen hatten wir auch nicht entdeckt.
Manchmal war das Gestein, über das wir marschierten, verflucht glatt. Wir mußten achtgeben, daß wir nicht ausrutschten. Immer wieder fanden wir Halt an den Wänden oder auch an den harten und trotzdem biegsamen Zweigen der Sträucher, die hier unten zahlreicher wurden. An einigen hingen rote Beeren, die aussahen wie winzige Weihnachtskugeln.
Die Hütte rückte näher. Sie wurde deshalb nicht schöner, sie war und blieb primitiv. Sie bestand aus zusammengetragenen Steinen und Treibholz, aus dem ein Dach errichtet worden war.
Den letzten Höhenmeter überwand ich mit einem kleinen Sprung und landete mit beiden Füßen in einer flachen Mulde direkt vor der Hütte. Unter mir war der Boden weich. Ich hatte die Pflanzen nicht zertreten, das war schon vorher geschehen.
Auch Bill hatte den Rest überwunden und war neben mir stehengeblieben. Er schaute mit gerunzelter Stirn auf die primitive Behausung und stellte murmelnd fest, daß sie leer war.
»Wir werden sie trotzdem durchsuchen.«
»Glaubst du nicht an irgendwelche
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