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0936 - Schattentheater

0936 - Schattentheater

Titel: 0936 - Schattentheater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Picard
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Totengeist. Er ist ein Gesandter der Schöpfergötter, der die Seelen der Toten hinüber in die andere Welt bringen soll. Nur dann begegnet man ihm. Nur dann, verstehen Sie? Niemand sieht einen Shinigami und bleibt danach in der Welt der Lebenden…« Tanabe starrte Nicole an, als habe die sich vor seinen Augen in einen Dämon verwandelt, der ihn auf der Stelle auffressen wollte.
    »Was sind Sie? Minamoto-san sprach von etwas Seltsamem, Fremdem, das Sie an sich hätten, und ich sagte, das läge sicher nur daran, dass Sie eben eine Europäerin sind. Aber jetzt denke ich, er meinte etwas ganz anderes!«
    Nicole wusste für einen Moment nicht, was sie sagen oder wie sie reagieren sollte. Minamoto fand sie seltsam? Dann ging sie einen Schritt auf Tanabe zu. Sie wollte ihren Arm durch seinen schieben, um weiterzugehen, doch er wich zurück. »Nein!« Er schrie fast in Panik. »Rühren Sie mich nicht an! Wie können Sie einem Shinigami begegnen und trotzdem noch in der Ashihara-no-naka-tsukuni, der Welt der Sterblichen, weilen? Ich weiß nicht, warum Sie hier vor mir stehen, vielleicht sind Sie ein Geist! Ein Dämon, nichts weiter!« Er hastete an ihr vorbei und rannte die Straße hinab, bevor Nicole noch irgendwie reagieren konnte.
    Sie starrte ihm verblüfft hinterher. Was war denn nur in den gefahren? Und Minamoto hatte sie über ihr Ausländersein hinaus seltsam gefunden?
    Damit muss ich mich mal ernsthaft auseinandersetzen , dachte Nicole. Man sieht mir die Dämonenjägerin wohl doch stärker an, als ich glaube. Auch Louis Landru hat in seinem letzten Gespräch mit mir ein paar Sätze gesagt, bei denen man vermuten könnte, er wüsste genau, wer Julie Deneuve in Wirklichkeit ist.
    Dann nahm sie sich zusammen. Sie konnte Tanabe jetzt nicht allein lassen. Er war in seinem Zustand bestimmt nicht sonderlich schnell, also beschloss sie, ihm bis zu dem Appartementhaus, in dem er lebte, zu folgen. Minamoto-san hatte behauptet, dass es nicht weit vom Teehaus entfernt wäre. Doch Nicole entschloss sich, in sicherem Abstand zu bleiben, damit sich der völlig verschreckte Tanabe nicht noch weiter in seinen Angstzustand hineinsteigerte.
    Einen knappen Kilometer ging das gut, auch wenn Nicole schon bald daran zweifelte, dass sie zum Teehaus, wo sie mit Minamoto-san verabredet war, zurückgefunden hätte. Die Straßen in dieser riesigen Stadt folgten keinem System, hatte Minamoto gesagt, sie hatten manchmal einfach nur Nummern. Die Hausnummern waren in der Reihenfolge ihres Entstehens vergeben worden und hatten mit dem Standort nichts zu tun wie in Europa.
    Nicole verdrängte den Gedanken an ein Herumirren in einsamen Gassen und konzentrierte sich wieder darauf, Tanabe nicht aus den Augen zu verlieren. Glücklicherweise waren wenigstens noch ein paar Passanten unterwegs, sodass sie nicht weiter auffiel - abgesehen von ihrem ausländischen Äußeren. Plötzlich blieb Tanabe an einer Straßenecke stehen und sah sich um. Die Dämonenjägerin huschte in den nächstbesten Hauseingang, drückte sich an die Wand und lugte dann vorsichtig um die Ecke die Häuser entlang.
    Niemand war zu sehen. Tanabe-san war verschwunden, wahrscheinlich war er abgebogen. Soweit sie die Straße überblicken konnte, war sie leer und lag im Dunkel, nur punktuell von einigen Straßenlaternen beleuchtet. Auch wenn Akasaka ein belebtes Viertel war, Neonreklame gab es nur an den Hauptstraßen. Es war still, die Passanten schienen mit einem Mal alle verschwunden zu sein. Nicole trat aus dem Hauseingang hinaus und ging auf die Mitte der Straße.
    Nichts.
    Nur das Rauschen des Verkehrs in der nahen Durchgangsstraße war zu hören. Tanabe-san war verschwunden.
    Verdammt! , fluchte Nicole in sich hinein.
    Im nächsten Moment zerriss ein lauter Schrei der Angst die Stille.
    ***
    Er konnte es nicht fassen.
    Wieder hatte er schlafen müssen, und als er seine Sinne erneut ausstrecken konnte, hatte er das Geschöpf nicht wiederfinden können. Selbst an dem Turm aus Eisengeflecht, wo er es zuerst gesehen hatte, war es nicht gewesen. Dort gab es viele Wesen, viele Menschen, mit viel Kraft, doch dieses eine, dieser Fotograf, der die Bilder gemacht hatte, war nicht wiederzufinden. Nun gut, vielleicht war er gegangen, Menschen bewegten sich und CHAVACH hatte keinen Begriff von Zeit oder Raum. Sein Empfinden konzentrierte sich auf seine Aufgabe, auf die er sich vorbereiten musste. Sie musste getan werden, es gab nichts anderes. Das war der Zweck seines Daseins, und dem ging er

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