0938 - Die Blutgasse
an das Ziel heranzuführen.
»Wenn du den Namen der Straße nicht kennst, kannst du uns vielleicht sagen, wo sie ist.«
»Nein.«
»Aber hier in der Nähe.«
»Kann sein.«
»Ist dir etwas aufgefallen?« wollte Bill wissen. »In der Straße, Anni. Gab es dort etwas Besonderes?«
»Ja, es war dunkel.«
Das wollten wir natürlich nicht hören. Bill fragte deshalb weiter. »Hast du ein Geschäft gesehen, eine Kneipe, deren Namen du behalten hast? Oder ein auffälliges Haus?«
Apfel-Anni überlegte einige Sekunden, dann schüttelte sie den Kopf.
»Nein, kein Haus. Alle waren gleich.«
»Hast du andere Menschen gesehen?«
»Auch nicht. Nur das Auto.«
So kamen wir nicht weiter, das merkte auch Bill Conolly. Er gab leicht entnervt auf. Er ließ sich zurücksinken, hob die Schultern und schüttelte den Kopf.
Wenn wir Zeit gehabt hätten, wäre es kein so großes Problem gewesen, aber wir hatten keine Zeit. Obwohl wir nicht darüber gesprochen hatten, war uns klar, daß diese Nacht nicht unbedingt normal verlaufen mußte.
Wir waren dem Grauen auf der Spur, wir hatten endlich einen Ansatzpunkt gefunden und mußten ihn auf jeden Fall weiterverfolgen.
»Nichts?« fragte Bill. Er kriegte von Apfel-Anni keine Antwort.
»Ich denke, da ist nichts mehr.« Nach langer Zeit mischte sich auch Ed Moss wieder in das Gespräch ein. »Ich glaube nicht mehr daran. Ich habe euch ja gesagt, daß Anni manchmal nicht geistig beisammen ist. Ehrlich.«
Das war mir zu einfach. Es mochte durchaus sein, daß Anni geistig nicht topfit war, aber man konnte sich mit ihr unterhalten, und deshalb wollte ich auch nicht aufgeben. Sie drehte sich zu mir um, als sie meine Stimme hörte.
»Anni, hör genau zu. Du bist doch zu dieser Straße bestimmt nicht gefahren, oder?«
»Nein, nein.«
»Also zu Fuß?«
»Ja.«
»Und du gehst auch nie weit weg?«
Sie legte die Hände in den Schoß und zeigte ein Gehabe wie ein sich zierendes Mädchen. »Nein, das nicht. Ich bleibe immer in der Nähe, weißt du.«
»Das ist nicht schlecht. Ich finde es sogar gut. Dann war die Straße bestimmt auch nicht weit weg.«
»Klar!«
»Schön«, sagte ich, um sie aufzumuntern. »In der Straße sieht also alles gleich aus, das hast du uns gesagt. Gibt es denn in der Nähe etwas, an das du dich besonders erinnerst? Die ganze Gegend muß ja nicht gleich aussehen, denke ich.«
Apfel-Anni lachte mich an. »Das stimmt, das ist klar. Warum sagst du das?«
»Weil du dich vielleicht daran erinnerst, ob es etwas nahe der Straße gibt.«
Das Lachen verstummte. Dann starrte sie mich an. »In der Nähe, meinst du? In der Nähe…?«
»Ja, daran denke ich.«
»Der Kiosk, wo es auch mal Äpfel gibt, aber keine echten. Sie sind so schön rot gemalt.«
Nicht nur ich war wieder hellwach geworden, auch Bill Conolly und vor allen Dingen Ed Moss.
»Den kenne ich doch«, sagte er.
Ich wollte unser Glück kaum fassen und fragte deshalb: »Tatsächlich?«
»Ja.«
»Er ist nicht weit von hier…«
»Bestimmt nicht.«
Plötzlich waren Bill und ich zugleich auf den Beinen. Regelrecht in die Höhe geschossen. Nur Ed war noch sitzengeblieben, dagegen aber hatten wir etwas. »Kommen Sie«, sagte Bill und reichte ihm die Hand.
»Kommen Sie mit uns.«
»Ja, aber…«
Ich war schon einige Schritte zur Seite gegangen und winkte den beiden hastig zu. Diese Bewegung sah auch Anni. »Wenn ihr zurückkommt, bringt ihr mir dann Äpfel mit?«
»Wir werden es versuchen«, erwiderte Bill und hatte es plötzlich mehr als eilig…
***
Die Meute der Blutsauger befand sich in der Wohnung. Und sie dachte nicht daran, sie zu verlassen, denn ebenso wie sie bewegte sich zwischen den Wänden das Opfer. Jemand, in dessen Adern Blut floß.
Sprudelndes, helles, frisches Menschenblut, nach dem die Niedergänger gierten, die endlich ihr Gefängnis verlassen hatten.
Allesamt waren noch etwas unsicher auf den Beinen. Bei jedem Schritt, den sie taten, schwankten ihre Körper. Einige von ihnen streiften mit den Schultern an den Wänden entlang, konnten sich aber immer wieder fangen und die Verfolgung fortsetzen.
Den Flur hatte Toby Reagan längst verlassen. Er war in das Zimmer hineingestürzt, weil er zu einem der Fenster wollte, das noch offenstand.
Dabei hatte er Pech gehabt. Er war unglücklich auf eine der am Boden liegenden Decken getreten, und auf dem glatten Boden war er dann nach vorn gerutscht. Ein langer Schritt, beinahe schon ein Spagat. Er hatte das Reißen in seinen Oberschenkeln
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