0938 - Die Blutgasse
Wir fahren bis zum Ende durch und kehren um, wenn wir nichts gesehen haben.«
Da es kaum eine andere Alternative gab, stimmte mir Bill zu. Mit langen Schritten eilten wir wieder zum Rover zurück. Beim Einsteigen sahen wir das fragende Gesicht des Obdachlosen. Natürlich wollte er wissen, was geschehen war und wofür wir uns entschieden hatten.
»Wir nehmen die linke Straße«, sagte ich und startete.
Da er keine andere Alternative vorzuschlagen hatte, gab er durch sein Nicken das Einverständnis.
Ich blinkte nach links und rollte um den kleinen Platz und damit auch um den Kiosk herum.
Fernlicht!
Kaum war es aufgeflammt, da veränderte sich die enge Straße. Die kalte Helligkeit ließ die mit allerlei Unebenheiten ausgestattete Fahrbahn und auch die Häuserfronten rechts und links gespenstisch wirken. Die Häuser waren unten bleich und oben finster.
Sie liefen da einfach weg, als hätte die Dunkelheit sie aufgelöst.
Ich fuhr Schrittempo!
Natürlich schauten auch Bill und Ed Moss. Bill links, der andere rechts.
Sie beobachteten die Häuser, saßen ziemlich geduckt, damit sie auch hochschauen konnten, wobei die im Schatten liegenden Hauswände nur selten von einem erleuchteten Fenster unterbrochen wurden. Licht paßte einfach nicht in diese düstere Sanierungsgegend.
Nichts zu sehen.
Apfel-Anni hatte auch nicht davon gesprochen, ob die Einfahrt am Ende, in der Mitte oder am Anfang der Straße lag. Bisher hatten wir noch keine gesehen. Da standen die Häuser dicht an dicht.
»Hoffentlich hat sie uns keinen Bären aufgebunden«, sagte Bill.
Ich schwieg, dafür meldete sich Ed Moss. »Nein, das glaube ich nicht. Apfel-Anni ist eine ehrliche Haut. Sie mag zwar nicht so gut denken können, aber lügen würde sie in diesem Fall nicht.«
Ed kannte sie besser als wir, und so mußten wir ihm recht geben. Der Wagen rollte weiter. Langsam hoppelnd, dann wieder leicht fahrend.
»Da ist sie!« Ed hatte die Einfahrt gesehen. Er verstärkte seine Stimme, als er sagte: »Anhalten!«
Das hatte ich schon getan. Ich ließ den Rover nur am Straßenrand ausrollen.
Bill stieg als erster aus. Ich löschte das Fernlicht, und wir blieben im Dunkeln stehen.
Da hörte ich die Schreie! Nicht nur ich hatte sie vernommen, auch meine beiden Begleiter. Wir waren inzwischen ausgestiegen und erlebten die seltsamen Echos in dieser Straße, so daß wir im Moment nicht wußten, woher die Schreie kamen. Sie hörten sich schlimm an. Die waren nicht mal laut, eher wimmernd, aber vor uns hatten wir nichts gesehen, trotz des Scheinwerferlichts. Oben etwa?
Es war oben. In einem der Häuser. Genau in dem Haus neben der Einfahrt.
An der Fassade starrten wir entlang, und wir sahen zwei Fenster, hinter denen Licht brannte.
Eines nur stand offen. Und das Licht war trotz allem hell genug, um erkennen zu können, in welch einer Klemme der Mensch steckte, dessen wimmernde Schreie uns erreichten.
Er hatte aus dem Fenster klettern wollen, was ihm nicht mehr gelungen war. Wir sahen sehr deutlich die beiden Arme mit den Händen, die er noch hatte nach draußen schieben können. Mit seinen Fingern klammerte er sich an der Außenkante der Fensterbank fest. Daß er es dabei nicht schaffte, nach draußen zu klettern, ließ darauf schließen, wie prekär seine Lage war.
Jemand mußte sich hinter ihm im Zimmer befinden und ihn zurückhalten.
Sonst wäre es ihm längst gelungen, sich über die Fensterbank nach draußen zu schwingen.
Zwar hielten die Hände noch an diesem rauhen Gestein fest, aber sie bewegten sich bereits wieder zurück, weil die Gegenkraft einfach zu stark war. Es war wirklich nur eine Frage der Zeit, wann der Mann wieder im Zimmer verschwunden sein würde.
Kopf und Körper hatten wir von ihm nicht gesehen, nur eben die im Licht bleich wirkenden Hände, bei denen das rauhe Gestein sicherlich die Haut aufreißen mußte. Vielleicht fünf Sekunden hatten wir nach oben geschaut. Dann war unsere Erstarrung gewichen.
Wir mußten ins Haus. Vielleicht konnten wir noch etwas für den Mann tun, aber es ging auch um die Bewohner, die ihn zurückzogen, um lebende Tote, um Vampire…
***
Toby Reagans Kopf befand sich noch unterhalb der Fensterbank. Er bewegte ihn wild hin und her. Der Schädel schlug von einer Seite auf die andere, was er nicht mal bewußt tat. Es lag einfach an seiner Haltung, an seiner verzweifelten Kraft, mit der er sich gegen die andere stemmte.
Er hatte mittlerweile seine Schmerzen im Bein vergessen, denn andere, noch
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