0938 - Rabenherz
seinen Spion von Fenster zu Fenster, um zu sehen, was weiter mit ihr geschah. Es dauerte einige Zeit, doch schließlich fand er auf der dem Pool zugewandten Seite den Raum, in den sie die Frau geschafft hatten.
Inzwischen war sie aus ihrer Ohnmacht erwacht und in ein angeregtes Gespräch vertieft.
Sehr gut! Sollte sie Zamorra und seine Kumpanen mit Anekdoten aus ihrer Vergangenheit beschäftigt halten. In ein paar Minuten ging die Sonne unter, dann würde er dem Schloss einen Besuch abstatten und den Geschichten seiner Bewohner und Gäste ein Kapitel hinzufügen. Und zwar das letzte, finale Kapitel!
Er würde seine Rache an jedem Einzelnen von ihnen vollziehen und jeden Moment davon auskosten. Dylan McMour war kein Auserwählter mehr. Die Quelle des Lebens öffnete sich für ihn nie wieder. Und dadurch hatte der Druidenvampir keine Gelegenheit mehr, seinen Auftrag auszuführen. Was also blieb ihm anderes, als Vergeltung zu üben?
Doch dann geschah etwas, dass all seine Pläne über den Haufen warf. Er fühlte durch den Raben die Qualen eines magischen Wesens. Früher hatte McCain oft genug Tiere unter seine Knute gezwungen, um zu wissen, dass diese über sehr feine Antennen für Gefahren verfügten. Keiner der Menschen im Château merkte, was sich nur zwei Stockwerke über ihnen abspielte. Hunderte von Kilometern entfernt hingegen, durchlief den Druidenvampir ein Schauder, als ihm die sensiblen Tiersinne des Raben den Weg zu etwas Unglaublichem wiesen.
Nach oben, Kratax! Dorthin, wo der Drache schläft.
Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte er dem Vogel den gleichen Namen wie dem Gefährten gegeben, der vor Jahrhunderten den Tod beim Angriff der McCain-Vampire gefunden hatte.
Seine Instinkte rieten dem Tier, in die andere Richtung zu fliehen. Weg von dem gepeinigten Wesen, weg von den magischen Eruptionen. Doch es hatte keine Wahl, als seinem Herrn zu gehorchen, und stieg auf zu dem Fenster im zweiten Stock.
Dort war es schließlich auf dem Sims gelandet und hatte McCain all die unglaublichen Bilder gezeigt.
Der Drache schlüpfte aus! Die Haut brach entlang des Rückenkamms aus dreieckigen Hornplatten auf, klaffte auseinander und entließ…
Bevor McCain einen genaueren Blick erheischen konnte, gewann in Kratax der Fluchtinstinkt die Oberhand. Laut krächzend flatterte er davon.
Der Druidenvampir trat in der Fischerhütte in Deutschland vor Wut gegen den ohnehin schon deformierten Teekessel. Früher wäre ihm das nicht passiert! Damals, als die Vampirmagie seine druidischen Fähigkeiten noch nicht verwässert hatte.
Nur mit Mühe zwang er den Raben zurück unter seine Gewalt. Für einige Sekunden trudelte er durch die Luft, drohte abzustürzen, doch im letzten Augenblick erlangte McCain wieder die volle Kontrolle. Er veranlasste Kratax zu wenden und verfluchte ihn dafür, wahrscheinlich die entscheidenden Momente der Drachenmetamorphose verpasst zu haben.
Nur einen Wimpernschlag später schlug der Zorn um in Erleichterung.
Mit einem Mal erfasste eine Druckwelle den Raben, gefolgt von einer Wolke aus Scherben und Holz- und Kunststoffsplittern. Der Drache floh durch das geschlossene Fenster! Hätte Kratax in diesem Augenblick noch auf dem Sims gesessen, hätte er die Wolke um Federn, Knochen und Blut bereichert.
Erneut geriet er ins Trudeln, sackte der Erde entgegen und konnte sich erst kurz vor dem Aufschlag fangen. Als McCain ihn nach oben lenkte, war von dem Drachen längst nichts mehr zu sehen - aber er hatte etwas zurückgelassen!
Seine Haut!
McCain hatte sich vor seiner Zeit als Blutsauger lange genug mit Magie, Artefakten, Ritualen und ähnlichen Dingen beschäftigt, um zu wissen, dass es sich dabei nicht einfach nur um eine tote Hülle handelte. Nein, in ihr schlummerten Unmengen Drachenmagie, die dank ihrer Neutralität jeden denkbaren Zauber verstärken konnte.
Auch die mickrigen Reste von Llewellyn-Magie, die der Druidenvampir noch in sich trug.
War das die Lösung all seiner Probleme?
Nu, das vielleicht nicht gerade, aber immerhin ein guter Weg! Er schöpfte neue Hoffnung, seinen Auftrag doch noch erfüllen zu können. Aber dazu benötigte er die Haut!
Und er würde sie sich holen. In ein paar Minuten. Wenn die Sonne ihm keine Schmerzen mehr zufügen konnte. Davon hatte er heute schon mehr erleiden müssen, als er zu ertragen bereit war.
McCain ließ Kratax zu einem nahegelegenen Baum fliegen. Bestimmt hatten Zamorra, der Erbfolger und die anderen den Radau mitbekommen und waren im
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