0942 - Die blutige Lucy
sich mein Gesichtsausdruck, und ich fing an zu grinsen. »Sei froh, daß wir uns so lange kennen und ich dir keine Bitte abschlagen kann. - Ich bin dabei.«
»Sehr gut. Dann fahren wir morgen früh zu ihm.«
»Wo wohnt er denn?«
»Hier in London. Ich werde dich am besten von Zuhause abholen, dann rutschen wir gemeinsam rüber, denn weit ist es nicht.«
Ich gähnte.
Bill verstand, winkte dem Kellner, um die Rechnung zu begleichen und sagte: »Du bist entlassen, John…«
»Ja, aber dann bitte mit vollem Gehalt.«
***
Sam Fisher war auf der Pirsch. So jedenfalls nannte er seine abendlichen Einsätze, wenn es darum ging, Prominente zu jagen und sie mit der Kamera »abzuschießen«. Um diese Zeit, wo das Wetter schlecht und die Laune der Menschen dementsprechend war, fanden all die Bälle und Parties statt, auf denen gefeiert, getrunken, gegessen, geklatscht und neue Beziehungen aufgebaut wurden, wobei alte dann in die Brüche gingen.
Für einen Klatschreporter gab es da immer mal einen guten Schuß. Zudem kamen die mehr oder weniger prominenten Gestalten dann auch zu diesen Leuten hin, um ihnen die Neuigkeiten brühwarm zu berichten. Meistens auch, um andere zu ärgern.
Eigentlich hätte Sam diesen Job längst aufgeben wollen, um in eine seriösere Sparte zu wechseln, aber er hatte noch ein Jahr drangehängt, denn es ging ihm um Lucy Tarlington.
Daß er als Jugendlicher mal ausgewandert war, weg von der ländlichen Westküste, hinein ins hektische London, um dort seine Brötchen zu verdienen, wußten nur wenige. Das war auch gut so, er wäre sonst von den Kollegen aufgezogen worden, aber Sam Fisher hatte die Zeit der Jugend und des frühen Erwachsenseins trotzdem nicht vergessen. Er war schon immer neugierig gewesen und kannte deshalb auch den Hintergrund der Geschichte um diese Lucy Tarlington, die in seiner Heimat als blutige Lucy bekannt war. Er hatte sich oft genug ihr Bild angeschaut, ein großes Gemälde auf dem sie als Schönheit abgebildet worden war. Trotzdem hatte er bei ihrem Anblick stets den Schauder der Furcht empfunden, weil er immer daran denken mußte, was aus ihr geworden war.
Bei einem seiner heimatlichen Besuche war es ihm gelungen, das Tagebuch dieser Person in die Hände zu bekommen. Er hatte es mit Interesse gelesen, es auch behalten und zunächst niemandem davon berichtet. Sam wollte die Geschichte eigentlich ausschlachten und sie für gutes Honorar verkaufen.
Dazu war es noch nicht gekommen.
Dafür war etwas anderes eingetreten. Er hatte Lucy gesehen.
Genau die Lucy!
In London, auf einer dieser Feten, und sie hatte sich um keinen Deut verändert. Sie war nicht älter geworden. Ein Schock für ihn. Der zweite jedoch war weitaus brisanter gewesen. Lucy hatte nicht mal ihren Namen gewechselt. Natürlich kannte man sie nicht als die blutige Lucy, Insidern allerdings war sie schon bekannt, denn sie gehörte zur Londoner Party-Clique, zu den Leuten, die ihre Feste immer im Gewitter der Blitzlichter feierten.
Wer dabei war, hatte Geld. Zwangsläufig wurde er auch für die Öffentlichkeit interessant. Natürlich hatte sich Sam Fisher darangemacht, herauszufinden, woher Lucy Tarlington stammte. Doch so leicht war das nicht. Zudem wußte niemand so recht, wer sie war. Sie war einfach da. Sie kam auf die Feste, man kannte sie, sie aß, sie trank, aber man sah sie nie auf Fotos, da sie immer verstand, diesen Blitzlichtgewittern zu entgehen, und trotzdem stand sie häufig im Mittelpunkt.
Sam wußte Bescheid.
Aber Sam war auch nicht dumm. Für ihn stand fest, daß er einer Sache auf die Spur gekommen war, die es eigentlich nicht geben durfte. Deshalb mußte hinter ihr ein Geheimnis stecken, über das sich zu berichten sicherlich lohnte.
Sam Fisher gehörte auch zu den vorsichtigen Menschen. Er wollte sich auf keinen Fall die Finger verbrennen oder noch mehr, deshalb hielt er sich mit seinen Recherchen zurück. Er kam nie zu nahe an Lucy heran, er interviewte sie auch nicht, sondern ließ sie einfach an der langen Leine laufen. Er hatte sie auch nie verfolgt, um herauszufinden, wo sie lebte. Man hatte von einer tollen Penthouse-Wohnung gesprochen, aber bestätigt hatte das niemand.
Über Lucy wurde viel geredet. Details allerdings waren nicht herausgefunden worden.
Das sollte sich ändern.
Sam Fisher war ein Mensch, der Rückendeckung liebte. Da er sich in der Branche auskannte, wußte er auch, daß es einen gewissen Bill Conolly gab, einen Kollegen, der sich mit bestimmten Phänomenen
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