0944 - Blutgespenster
es nach innen, wobei die Tür zuerst noch Widerstand entgegensetzte, dann über den Boden schleifte, wo bereits eine hellere Furche zu sehen war.
Das Kind unternahm einen letzten Versuch und stemmte seine Beine gegen den Boden. Gleichzeitig wollte es sich aus dem Griff der Untoten losreißen. Es war ein vergebliches Unterfangen. Lucy verstärkte ihren Druck und zerrte ihr Opfer über die Schwelle, wobei die kleine Lucy immer wieder jammerte: »Ich darf nicht in den Turm, es ist verboten, ich darf es nicht, ich darf es nicht…«
Die blutige Lucy zerrte sie hinein und wuchtete sie gegen die Wand, wo das Kind stehenblieb, mit offenem Mund, aber nicht atmend, denn ihm war die Luft weggeblieben.
Die Blutfrau ging auf ihr Opfer zu, und sie bewegte sich dabei leicht geduckt. »Wir werden jetzt die Treppe hochgehen. Ich will, daß du meinen Beschützer kennenlernst, und du wirst zuhören, wie ich ihn in meine Pläne einweihe. Verstanden?«
Sie konnte nicht mal nicken und ließ alles mit sich geschehen. So griff Lucy zu, zerrte sie zu sich heran und drehte sich mit ihr dorthin, wo die Treppe nach oben führte.
»Ich kann nicht!« jammerte Lucy schon nach den ersten Stufen. »Mein Rücken tut so weh! Du hast mich gegen die Wand geschlagen…«
Die Untote lachte nur. Für die Sorgen der Kleinen hatte sie kein Ohr. Es war wichtig, daß sie mit ihr ans Ziel gelangte, alles andere interessierte sie nicht, und deshalb machte sie weiter. Auch kümmerte sich die blutige Lucy nicht darum, daß menschliche Kräfte erlahmen können. Bei ihr war es nicht der Fäll. Sie lief weiter und weiter.
Aber Lucy sackte zusammen. Das Kind war einfach nicht mehr in der Lage, die hohen Stufen so rasch zu überwinden. Ihre Beine machten nicht mehr mit. Ihr Rücken schmerzte. Hinzu kam auch die Angst. Wenn die blutige Lucy höher ging, dann hielt sie sich irgendwo fest, wahrscheinlich an der Wand, und darüber kratzten auch die Fingernägel. Gut hörbar.
Man hatte die Kinder immer gewarnt, den Leuchtturm zu betreten. Die alte Wendeltreppe war brüchig, der Turm instabil, doch der Gedanke an die Warnungen der Erwachsenen war nur mehr flüchtig. Die kleine Lucy mußte sich um andere Dinge kümmern. Sie wußte überhaupt nicht mehr, wo sie sich befand. Die Dunkelheit war schrecklich, die Wendeltreppe überhaupt nicht zu sehen, doch Lucy hatte Glück, daß sie die Stufen nicht öfter verfehlte, stolperte oder gar stürzte.
Die Blutfrau hielt sie eisern fest. Ihr Griff war nach wie vor wie eine harte Klammer, und so hatte das Kind keine Chance, sich daraus zu befreien.
Bis sie nicht mehr konnte.
Lucy brach zusammen! Sie fiel auf die Kanten der abgetretenen Stufen. Sie jammerte und weinte, und plötzlich ahnte ihre Peinigerin, daß etwas nicht stimme. Sie blieb stehen.
Das Mädchen wußte nicht, was in ihrer Nähe geschah. Es war einfach zu finster. Lucy vermutete, daß sich die grausame Frau vorbeugte, und Lucy spürte wieder deren kalte Hände in denen es überhaupt kein Gefühl gab. Sie drückten sich gegen ihre Wangen und hielten das Gesicht von zwei Seiten fest.
»Was ist denn los? Was ist los?«
»Kann - nicht - mehr…«
Aus dem Mund der Untoten löste sich ein grunzendes Geräusch. Sie wartete für einen Moment wie jemand, der erst noch nachdenken muß, dann aber packte sie zu.
Lucy schrie auf, als sie urplötzlich in die Höhe gerissen wurde und den Kontakt zu den Stufen verlor. Sie schwebte in der Luft, und eine schreckliche Angst überkam sie, als sie daran dachte, daß die andere Lucy sie jetzt in die Tiefe werfen konnte.
Aber das trat nicht ein. Die andere hielt das Kind fest. »Ich werde dich jetzt tragen!« flüsterte die blutige Lucy. »Ich trage dich wie ein Kind - wie mein Kind.« Sie lachte gackernd. »So etwas Ähnliches bist du auch für mich. Du bist mein Kind, ich bin deine Mutter, aber ich bin eine Blutmutter, verstehst du?«
Sie verstand, aber sie wollte nicht verstehen. Es war ihr egal. Sie fühlte sich zudem wie jemand, der den Boden unter den Füßen für immer verloren hatte und davonschwebte. Hinein in die Unendlichkeit. Hinein in die ewige Dunkelheit. Der Schwindel sorgte zudem für imaginäre Drehungen, und erst als sie den heftigen Ruck spürte, kam sie wieder einigermaßen zu sich.
Der Aufstieg ging weiter.
Stufe für Stufe einem unbekannten Ziel entgegen. Bei jeder Bewegung rutschte das Kind im Griff hin und her, aber ihre Kidnapperin faßte jedesmal nach und hielt das Opfer fest.
Lucy verging fast vor
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