0945 - Zielort Kristallwelt
in den Schwefelklüften eine geringere Rolle spielte als die Qual. Eine wunderbare Inspiration - doch im nächsten Moment war das Hochgefühl wieder verschwunden und hatte einer Panik Platz gemacht, die sich Tan Morano in die Knochen fraß. Er glitt über die glühende Lava, in der Seelen schwammen und von dienstbaren Teufeln dort gehalten wurden. Er war noch nie so dicht über der Oberfläche hergeglitten, noch nie hatte er so dicht an seiner Gesichtshaut die Hitze gespürt. Er hatte das Gefühl, als schälten der Schwefel und die Flammen ihm die Haut von den Knochen. Er erschrak. Würde er seine neu gewonnene Schönheit, seine Jugend, in dieser höllischen Luft wieder verlieren? Für ihn beinahe der schlimmste vorstellbare Gedanke. Doch im nächsten Moment erschrak er noch tiefer. Selbst der Verlust seines Aussehens war nicht so entsetzlich wie das, was er jetzt sah.
Das waren keine Menschenseelen in diesem Lavasee.
Es waren Vampire. Und sie schwammen auch nicht in Lava. Es war kochendes Blut. Und die Vampire waren kurz vor dem Verhungern, einem Hunger ausgesetzt, der ihre Eingeweide zerriss und der schlimmer war, als je ein Mensch wissen würde. Es klang, als seien sie bereits halb wahnsinnig vor Blutgier. Einige bettelten die Dämonen, die sie in diesem See hielten, geradezu an, ihnen einen Pfahl durchs Herz zu treiben, doch diese verschenkten in diesen Fällen einen einzigen Tropfen ihres schwarzen Bluts. Natürlich waren diese scheinbaren Gnadenakte nichts weiter als Folter, denn damit lebten die Vampire wieder ein wenig länger, hatten wieder ein winziges Quäntchen mehr Kraft, mit der sie dem Tod wieder einen Millimeter ferner waren. Das Schreien seiner Artgenossen, seiner Kinder, wurde immer lauter, so schien es, immer schlimmer, es zerriss seine Ohren, seine Gedanken, sein Herz. Ihm war klar, sie alle waren hier. Jeder Einzelne von ihnen, jedes seiner Kinder, alle Vampire, die je gelebt hatten und die jetzt noch lebten, ohne Ausnahme.
Er war der ERHABENE, ja. Aber er war auch der Herr über alle Vampire. Der einzige, der wahre, der legale Nachfolger von Sarkana. Seine gequälten Kinder bewiesen ihm das. Jeder Schrei bohrte sich wie ein Messer in sein Herz - und er wusste mit einem Mal, er herrschte nicht nur über sie. Er hatte die Verantwortung über seine Kinder. Es gab eine Verbindung zwischen ihnen, und auch wenn sie schwächer waren als er, als Oberhaupt aller Sippen und Clans spürte er ihren Hunger genau wie sie den seinen. Auch wenn er selbst das Sagen hatte, es konnte nicht angehen, dass er seine Kinder im Stich ließ, und selbst hier, auf dem fernen Kristallplaneten blieb.
Er würde sich um sie kümmern müssen. Er war beinahe erleichtert, dass er dem Feuer, dem kochenden Blut so nahe gekommen war. Jetzt wusste er, was zu tun war und warum ihm das Schicksal die Möglichkeit gegeben hatte, sich mit dem Dhyarra zu verschmelzen. Er war nicht nur der Retter der Ewigen, indem er sie in eine neue, glorreiche Zukunft führen würde. Er war auch der Erlöser der Vampire und er würde sie vor der Ausrottung bewahren. Er würde seine Kinder rufen müssen, denn auf der Erde und in der Hölle würde etwas ganz Schreckliches geschehen, das er nicht zulassen konnte.
Mit einer großen Willensanstrengung zwang er sich, sich von der Oberfläche des Sees zu entfernen. Doch etwas war ihm im Weg. Etwas, das mächtiger war als er, so viel mächtiger, dass er, der ERHABENE DER DYNASTIE, angesichts dieser Macht, dieser Bosheit und dieser Unbarmherzigkeit ein Nichts war. Er konnte nur hoffen, dass ihn dieses Wesen nicht beachtete und in Ruhe ließ. Nichts, was er sich ausdenken konnte, war so schlimm wie der Gedanke, was diese Präsenz mit ihm tun würde, wenn er ihr in die Hände fiel. Doch er konnte sich nicht mehr bremsen. Er stieß mit dem Wesen zusammen und fühlte auf einmal die vollständige Macht der Präsenz. Sie zermalmte ihn, allein dadurch, dass sie da war. Vernichtete ihn trotz aller Kraft, die er aufbringen konnte, in einer Sekunde, und ließ nichts übrig als ein verwehendes Häufchen Asche, das nichts tun konnte, als zu spüren, wie die heißen Höllenwinde es in alle Windrichtungen verstreuten.
Tan Morano schrie auf. Er fuhr hoch, zwang sich zu erwachen, versuchte, seine Panik zu verdrängen, doch er konnte nicht aufhören zu schreien.
***
Fu Long studierte angelegentlich die Mappe, die Zamorra ihm mitgebracht hatte. Verstohlen sah der Meister des Übersinnlichen sich um. Die Räume, die Fu Long
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