0945 - Zielort Kristallwelt
wohl an den Worten des neuen ERHABENEN dran war. Es dauerte Minuten, dass auch dem Letzten klar wurde, dass das kein Schauspiel war, sondern grausame Wirklichkeit.
Beinahe hätte Sinje-Li geglaubt, dass die Menge vor Empörung rasen würde. Doch stattdessen hörte sie - nichts. Es war totenstill. Die Kameras, die die Zuschauermenge einfingen, schwenkten über Gesichter, die vor Entsetzen erstarrt waren.
»Seht hin, mein Volk«, erklang jetzt wieder die Stimme des ERHABENEN. »Seht es euch an, damit ihr wisst, was ich kann. So wie diesen sieben wird es jedem ergehen, der sich meiner Herrschaft in den Weg stellt.«
***
Der Stapel hatte sich doch tatsächlich verkleinert.
Nicht ohne Stolz sah der Meister des Übersinnlichen auf einen Schreibtisch, bei dem so langsam wieder die Oberfläche durchschimmerte. Erleichtert trank er noch einen Schluck Kaffee. Mittlerweile war es richtig dunkel draußen geworden, dem grauen Tag war eine düstere und mondlose Nacht gefolgt.
Immerhin, die Arbeit hatte sich gelohnt.
Zamorra streckte sich vor dem Computer und sah dann nachdenklich auf den Bildschirm. Er hatte als Letztes die Zeitungsausschnitte und Internetausdrucke von Pascal Lafitte sortiert und eingescannt. Der ständig arbeitslose Familienvater mit zwei Kindern beobachtete für Zamorra das Netz und die Print-Gazetten, um ihm gelegentlich Hinweise auf Dämonenaktivitäten oder andere Auffälligkeiten geben zu können. Während der Scanner vor sich hin gesurrt hatte und ein Zeitungsausschnitt und ein Ausdruck nach dem anderen der riesigen virtuellen Bibliothek der Computeranlage hinzugefügt wurde, las Zamorra auch den einen oder anderen Abschnitt. Doch es war nichts Besonderes dabei. Wieder einmal ein paar völlig verschwommene Fotos und YouTube-Videos von Nessie, Fußstapfen des Yetis in der Nähe von Kathmandu, eine regenbogenfarbige Schlange hatte einen Touristen am Ayers Rock in Australien gebissen, der daraufhin angefangen hatte, in Zungen zu sprechen und plötzlich Didgeridoo spielen konnte. Als Zamorra eine Nachricht des US-Klatschblattes National Enquirer überflog, in der aufgeregt über UFO-Sichtungen in New Mexiko berichtet wurde, seufzte er.
Er fragte sich, was los war. Das waren die Berichte, die Pascal in den letzten Monaten hatte auftreiben können? Viel zu ruhig. Viel zu unspektakulär. Geschah denn gar nichts richtig Unheimliches mehr? Das Einzige, was wirklich geheimnisvoll und außergewöhnlich zu sein schien, war eine Reihe von unheimlichen Vorkommnissen in Pachinkohallen, Bahnhöfen und einigen anderen öffentlichen Plätzen in und um Tokio in Japan. Dort war es anscheinend in letzter Zeit zunehmend zu Massenpaniken aus unerklärlichem Grund und darauf folgenden Selbstmorden oder ominösen Todesfällen überhaupt gekommen.
Zamorra überlegte, ob er sich vielleicht darum kümmern sollte. Nicole war immer noch fort, hier im Schloss herumzuhängen und ihr hinterherzutrauern, hing ihm zum Halse heraus. Im Augenblick zumindest. Es existierten Tage, da gab er sich der Einsamkeit in seinem Herzen hin, saß vorzugsweise alleine in der Küche und begnügte sich sogar mit widerlich löslichem Kaffee statt des von William so hervorragend zubereiteten Gebräus. In anderen Momenten umgab er sich lieber mit den Bewohnern des Châteaus, diskutierte mit Lady Patricia über deren Sohn Rhett, plauderte wiederum mit diesem über das unbekannte Schicksal des Drachen Fooly oder seine erste große Liebe Kathryne. Oder er unterhielt sich mit Dylan McMour über dessen Zukunft als Unsterblicher.
Und dann wiederum gab es Tage wie heute, an denen es ihn hinauszog. Etwas zu tun bekommen, wäre nicht schlecht gewesen.
Aber Japan war weit weg, und in den letzten zehn Tagen hatten diese unheimlichen Vorkommnisse auch schon stark nachgelassen. Worum auch immer es sich dabei gehandelt hatte, es war offenbar verschwunden. Und sonst schien auf der Welt nichts weiter passiert zu sein.
Viel zu ruhig. Viel zu gut. Als sei das Böse eingedämmt worden.
Dieser Gedanke brachte in ihm eine Saite zum Klingen. Das Multiversum ist viel zu gut geworden. Das habe ich vor ein paar Stunden, als Fu Long hier war, schon einmal gedacht.
Der Professor stand auf und ging ein paar Schritte hin und her.
Er hatte Fu Longs Bedenken, dass etwas Unheimliches in der Luft lag, vorhin einfach so beiseitegeschoben. Jetzt tat ihm das leid, und er ärgerte sich. Fu Long hatte völlig recht. Der chinesische Vampir hatte - Höllenfürst hin oder her - dem
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