0947 - Geballte Wut
jungen Begleiter, ein Bursche mit dem einprägsamen Namen Dylan McMour. Just, als dieser zum Professor treten wollte, wehrte Zamorra ab und deutete ihm, auf Sicherheitsabstand zu bleiben.
»Gute Frage«, antwortete er dann. »Thierry? Hier ist ein Emblem in die Wand eingelassen. Ein ovales Zeichen, in dem rote Linien von einer Seite zur anderen führen. Chagnaud Construction steht darunter. Wissen Sie, was es damit auf sich hat?«
»Das Ding da?« Thierry lachte schwach. »Monsieur, das ist nichts Magisches, sondern schlicht der Herstellerstempel, wenn Sie so wollen. Und es hängt schon seit exakt hundert Jahren an diesem Ort. Chagnaud war der Mann, der zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts die Seine untertunnelte, um der Île de la Cité einen Anschluss ans Pariser Metro-System zu ermöglichen. Ein regionaler Held, sozusagen. Anfang des Jahres ließen wir ihn im Rahmen eines kleinen Festaktes hochleben.« Abermals fuhr er sich durchs Gesicht, als wäre der Wahnsinn, in den er so unvermittelt gestolpert war, nichts als eine Schmutzschicht, die er nach Belieben abwischen konnte. »Warum? Was ist damit?«
Statt zu antworten, ging Zamorra näher an das brusthoch in die Wandfliesen eingelassene und vielleicht fünfzig Zentimeter durchmessende Logo heran. Dann berührte er es mit beiden Händen, schloss die Augen…
»Er horcht«, murmelte der, den sie Rhett nannten - den unaussprechlichen, arabisch klingenden Nachnamen hatte Thierry sofort wieder vergessen - in sein Ohr, als erkläre das die Situation. »Er konzentriert sich auf das Objekt, streckt seine geistigen Fühler nach ihm aus und versucht zu erkennen, ob sich dahinter etwas verbirgt.«
»Das kann ich ihm auch so sagen«, antwortete Thierry trocken und sah seinen jugendlichen Kommentator missbilligend an. »Ein Haufen Beton und mehrere Tausend Kubikmeter gute französische Erde.«
»Und das Amulett?«, fragte Dylan. »Warum geht Merlins Sterns Alarm diesmal nicht los?«
»Vermutlich hat Zamorra ihn per Gedankenbefehl entsprechend instruiert«, antwortete Rhett lapidar.
Gedankenbefehl. Merlin. Wo in Gottes Namen war er da nur hineingeraten? Entweder in das Ende der Welt, oder in die Gesellschaft von Menschen, die in die Geschlossene gehörten - und zwar dringend. Beides missfiel ihm sehr.
»Das Logo ist nicht weiter wild, Professor«, sagte Thierry mit erhobener Stimme. »Ehrlich. Nur ein Hinweis auf den Konstrukteur dieser Station. C'est tout. «
Zamorra nickte gedankenverloren, ließ die Arme sinken und öffnete wieder die Augen. Er sah nahezu enttäuscht aus. »Was dann?«, murmelte er. »Hier muss doch…« Abermals drehte er sich um die eigene Achse, betrachtete die Wände, die Gleise, den Boden. Dann schnippte er mit den Fingern. »Sagen Sie, Thierry, dieser Ort hier… die Stelle, an der ich jetzt stehe… das ist nicht zufällig der Platz, an dem der Geiger ermordet wurde, oder?«
Der Geiger? »Nein, Professor. Das war hier hinten an der Wand. Auf dem Überwachungsvideo sieht man es genau. Das Mädchen kam aus diesem Tunnel dort und…«
Thierry hielt inne.
Glotzte.
Und explodierte innerlich!
Das war es! Das war der Grund für das ungute Gefühl, das ihn seit Minuten ergriffen hatte. Dort vorne saß die Mörderin !
Es war absurd, sie hier und noch dazu in Gesellschaft wiederzufinden, doch je länger Thierry Desjardins darüber nachdachte und sich die Bilder jenes tragischen Ereignisses ins Gedächtnis rief, desto sicherer wurde er. Das Monster war zurückgekehrt! Es saß keine drei Meter von ihm entfernt und hielt Händchen mit dem Jungen namens Rhett.
Thierrys Hand glitt zum Funkgerät, das er am Gürtel trug. Er musste Verstärkung rufen, musste das Mädel verhaften lassen und…
Bevor er auch nur den Gedanken daran beenden konnte, ergriff Dylan McMour das Wort. »Ich kann mich irren«, sagte der Mittzwanziger langsam und in einem Tonfall, der nahe legte, dass ihm gerade ein Geistesblitz gekommen war, »aber wenn ich mich richtig an das Video erinnere, das wir in Robins Büro sahen, stehst du genau auf der Stelle, an der das zweite Opfer verstarb, Zamorra. Der Touri…«
Der Blick, den der Meister des Übersinnlichen seinem jungen Begleiter daraufhin zuwarf, konnte nur mit dem Begriff fassungslos beschrieben werden. Thierry sah dem seltsamen Mann von der Loire ins Gesicht und wusste, dass irgendwo in seinem Geist gerade etwas klick gemacht hatte.
Nur: War das gut oder schlecht?
Kapitel 7 - Grab aus Eis und Schwärze
Stille.
Und
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