0953 - Der Vampirwolf
zeigte auf einen Hals. »Bei einem Vampirbiß sieht man die Stellen, die kleinen Wunden, die Punkte, aber diese fünf Opfer sahen allesamt schrecklich und furchtbar aus. Sie standen auch nicht wieder auf. Sie waren eben tot und wirkten wie hingerichtet.«
»Das verstehe ich.«
»Gut, deshalb meine Frage: Am Telefon versprachen Sie mir, sich Gedanken zu machen. Wie weit sind Sie damit gekommen?«
Frantisek Marek hob die Schultern. »Tja, nicht sehr weit, wie ich zugeben muß.«
»Was hat Sie daran gehindert?«
»Es ist auch neu für mich. Aber ich kann Sie trotzdem trösten, denn mir ist tatsächlich meine jahrelange Erfahrung zugute gekommen, einschließlich meiner Erkenntnisse.«
Nägele lächelte dünn. »Das hört sich irgendwie gut an.«
»Es könnte ein Hinweis sein.«
»Ich höre zu. Die Zeit gönnen wir uns noch.«
Marek räusperte sich. Sein Blick bekam einen etwas verlorenen Ausdruck, als er nach vorn schaute, die Scheibe sah, aber das nicht wahrnahm, was sich hinter ihr abzeichnete. Er dachte an ganz andere Dinge, wobei er sich mit seinen Gedanken nicht zurückhielt und sie aussprach. »Wissen Sie, Kommissar, ich gehöre zu den Leuten, die ihre Arbeit schon jahrelang mehr oder minder gut erledigen. Ich jage die Brut also seit langem, aber dabei ist es nicht geblieben, denn wer sich für eine bestimmte Arbeit engagiert, der benötigt auch Hintergrundmaterial.«
»Das verstehe ich.«
»Also fing ich an zu forschen. Ich suchte alles, was ich über Vampire nur finden konnte. Ich ging in Bibliotheken, las dort Bücher, hörte den Menschen zu, die Geschichten wußten, und bei der einfachen Bevölkerung war ich rasch bekannt. Ich will Sie nicht damit langweilen, was ich schon alles hinter mich gebracht habe, aber einen Erfolg habe ich dabei doch errungen. Vor nicht allzu langer Zeit fiel mir ein Papier in die Hände, bei einem Trödler. Es war eine in Fell eingewickelte Rolle, die der Mann irgendwo aufgetrieben hatte. Ich habe viel bezahlen müssen, um die Rolle zu bekommen, doch ich wollte sie unbedingt haben. Der Trödler hatte mich einen Blick auf das Geschriebene werfen lassen, und die Worte hatten mich einfach fasziniert.«
»Wie alt waren die Papiere denn?«
Marek wartete ab, bis sich Nägele eine Zigarette angezündet hatte. Erst dann antwortete er: »Einige Jahrhunderte waren sie bestimmt alt. Und sie waren gut zu lesen, denn in dem Fell hatten sich diese Rollen gut gehalten. Aber ich möchte nicht abschweifen. Ich kaufte die beiden Papiere für teures Geld, nahm sie mit und kümmerte mich in Petrila genauer darum. Es waren die Aufzeichnungen einer alten Frau, die Jovanka hieß. Sie wohnte in einem kleinen Ort, den es heute nicht mehr gibt, aber sie beschrieb eine Zeit des Grauens und der Kriege. Die Zeitspanne, in der auch der Blutfürst Dracula regiert hat. Und sie schrieb über ein schreckliches Monstrum, eine Bestie, nicht Vampir, nicht Wolf, sondern eher ein Mittelding zwischen beiden. Dieses Ungeheuer brachte Angst und Schrecken. Die Menschen in den kleinen Orten fürchteten sich wie wahnsinnig vor ihm. Trotzdem gelang es einigen Mutigen, diese Bestie zu fangen. Ein Pfarrer und vier Helfer hatten bereits ein Grab ausgehoben, das Monstrum in eine Kiste gesteckt und ein Kreuz daraufgelegt. Doch die Bestattung konnte nicht mehr erfolgen. Wie sich jedoch dieser Vampirwolf aus seinem Gefängnis hatte befreien können, ist mir nicht bekannt. Jedenfalls kam er frei, und er tötete den Popen. Seitdem ist er verschwunden, aber wenn Sie jetzt den Kopf schütteln wollen, dann möchte ich Ihnen sagen, daß auch die Morde des Untiers genau beschrieben wurden. Sie gleichen denen, mit denen Sie zu tun haben, aufs Haar.«
Mehr sagte Marek nicht. Er wollte Nägele erst einmal gedanklich zur Ruhe kommen lassen.
Der Kommissar warf seine Kippe auf den Eisboden und trat sie aus. Den Rest des Rauches ließ er durch seine Nasenlöcher strömen und hob die Schultern.
»Was sagen Sie dazu?«
»Wenn ich das richtig bedenke, Marek, haben wir es mit einem Killerwesen zu tun, das bereits seit Jahrhunderten existiert.«
»Richtig.«
»Und Sie glauben den Aufzeichnungen der Frau?«
Der Pfähler verzog sein faltenreiches Gesicht, dessen Haut ebenso grau war wie sein Haar. »Warum sollte diese Jovanka gelogen haben? Sie hat sogar im Namen des Allmächtigen unterschrieben, und das setze ich mit einem Eid gleich.«
Goran Nägele nickte. »Es könnte hinkommen.«
»Wir müssen uns doch fragen, Kommissar, ob wir es
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