0964 - Königin der Toten
und er blieb wenig später vor dem Haus stehen. Er klingelte zweimal, so war es abgemacht, und Jarrel hatte sich daran gehalten, denn er öffnete die Haustür.
Sir James stieg die Treppen zur ersten Etage hoch. Jarrel stand in der Tür, aber so, daß er durch einen Spalt in den Flur schauen konnte. Er hatte die Wohnungstür nicht geöffnet.
Sir James nahm den Hut ab, stellte sich vor und sah, als Jarrel die Tür öffnete, daß dieser Mann unter einem ungeheuren Druck stand. Er war fahrig und benahm sich in der eigenen Wohnung wie ein Fremder. Auch wenn er normal ging, schaute er alle paar Sekunden nach rechts und links, als könnte jeden Moment ein Gespenst erscheinen, um ihn zu überfallen.
Sir James hatte im schmalen Flur eine Garderobe entdeckt und hängte dort seinen Mantel auf.
Jarrel wartete auf ihn. Die Gesichtsfarbe des Mannes war fahl wie Asche geworden. Er war mit seinen sechzig Jahren sowieso nicht mehr der Jüngste, nun sah er noch älter aus.
Bevor Sir James auf Einzelheiten einging und Fragen stellte, schenkte er dem Mann reinen Wein ein. »Wir werden nicht allein bleiben, Mr. Jarrel, ich habe eine gewisse Jane Collins angerufen, die sich bald zu uns gesellen wird. Miß Collins ist Privatdetektivin, die sich auch mit unerklärlichen Vorgängen auskennt. Sie hören also, daß wir hier mit großem Geschütz auffahren.«
Der Mann lachte auf. »Mir ist es egal, was Sie tun und machen. Ich will nur bald wieder meine Ruhe haben.«
»Das kann ich verstehen.«
»Wollen Sie jetzt mal das Bad ansehen, wo ich alles erlebt habe, was ich Ihnen schon am Telefon sagte?«
»Das wäre gut.«
Jarrel ging vor. Er hatte es nicht weit. An der Tür zögerte er trotzdem, denn er traute sich nicht, sie zu öffnen. »Sie werden lachen, Sir, aber es kostet mich schon Überwindung, dort hineinzugehen.«
»Darf ich vorgehen?«
»Gern.«
Völlig normal öffnete Sir James die Tür. Ein großer Schritt brachte ihn in das Zimmer und augenblicklich nahm er die neue Umgebung auf. Was er geboten bekam, ließ nicht darauf schließen, daß zwischen diesen Wänden etwas Ungewöhnliches geschehen war, abgesehen von der Frauenkleidung, die noch herumlag. Ansonsten sah alles völlig normal aus und war intakt, auch der Spiegel an der rechten Wandseite über dem Waschbecken.
Sir James konzentrierte sich auf ihn, was der in der offenen Tür stehende Jarrel natürlich mitbekam.
»Auch wenn nichts mehr darauf hindeutet, aber ich habe meine Nichte in diesem Spiegel und in dem, was da plötzlich hinter ihm lag, verschwinden sehen. Dort erschien auch das Monstrum, Sir. Das schwöre ich!«
»Keine Sorge, ich glaube Ihnen.«
»Es hatte sich hier ein furchtbarer Geruch ausgebreitet. Der ist jetzt verweht.«
»Und dieses Monstrum tauchte wieder zurück in den Spiegel, nachdem es Ihre Nichte geholt hatte?«
»Ja, so ist es gewesen. Keiner ist bisher zurückgekehrt, das ist ja das Schlimme daran. Ich weiß nicht mehr ein noch aus. Für mich ist das Leben zu einem Rätsel geworden.«
»Also«, murmelte der Besucher, »dann haben wir hier das transzendentale Tor.«
»Ähm - was bitte?«
»Vergessen Sie es.« Sir James trat so nahe an das Waschbecken heran, daß es ihm keine Mühe mehr bereitete, mit den vorgestreckten Händen den Spiegel zu berühren. Er gehörte nicht mehr zu den allerneuesten Produkten und hing schon lange dort. Nicht die gesamte Fläche war blank. An den Rändern zeigten sich schon einige blinde Flecken.
Sir James klopfte die Fläche ab. Er drückte dagegen, aber es gab nirgendwo einen Widerstand. Damit hatte er nicht gerechnet. Er fühlte sich eher wie jemand, der einer Beschäftigungstherapie nachging und letztendlich einsehen mußte, daß das keinen Sinn hatte. Deshalb trat er auch wieder zurück.
»Sie haben auch nichts entdeckt, Sir, das sehe ich Ihnen an. Sind Sie sehr enttäuscht?«
»Nein, so kann man das nicht sagen. Ich bin eher in meiner Annahme bestätigt worden.«
»Wie das?«
Der Superintendent drehte sich um. »Lassen wir das, Mr. Jarrel. Gewisse Dinge sind eben zu kompliziert, um sie mit wenigen Sätzen erklären zu können.«
»Aber was sollen wir machen?« Jarrels Stimme klang schon verzweifelt.
»Warten.«
»Bitte?«
»Und auf unser Glück vertrauen, wobei ich das Warten vorziehe, denn nichts ist endgültig.«
Darüber mußte James Jarrel nachdenken, was ihm so leicht nicht fiel. Er verließ mit seinem Besucher das Bad, wobei Sir James ihn leicht über die Schwelle schob.
Erst im Wohnraum
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