0976 - Flügel des Todes
hatte.
Wehmütig blickte er zum Himmel.
Ihre geflügelte Gönnerin hatte sich zurückgezogen. Nur noch Sterne zeigten sich am Firmament.
So viel Wein, dachte Mostache strahlend, als er die zahllosen Kisten auf dem Festplatz betrachtete. Nur kurz fragte er sich, wann der geheimnisvolle Engel diese wohl hergeschafft haben mochte. Schließlich war man hier den ganzen Tag über mit den Vorbereitungen und Aufbauten beschäftigt gewesen. Dann verdrängte er diesen Gedanken. Ein Engel hatte zweifellos seine ganz eigenen, kleinen Tricks, um so etwas zu bewerkstelligen. Es war nicht wirklich wichtig. Nichts war mehr wichtig!
Er blickte sich um.
Irgendjemand hatte die Trümmer der Feststände zu einem großen Holzhaufen zusammen geschichtet und diesen entzündet.
Ein Freudenfeuer , erkannte Mostache grinsend. Pater Ralph schien ähnlich zu denken. Unter keckerndem Lachen tanzte er um die hoch auflodernden Flammen. Er hatte jegliche priesterliche Würde verloren. Seine Haare standen wirr vom Kopf ab. Immer wieder hob er die mitgeführte Flasche zum Mund. Er schien noch lange nicht genug zu haben.
Und auch Mostache selbst war immer noch durstig. Hastig trat er einen Schritt nach vorne und bückte sich nach einer weiteren Flasche. Mit den Zähnen entfernte er den heraus stehenden Korken und ließ sich den Wein gleich darauf gierig in den Mund laufen. Wohlig schloss Mostache die Augen, als sich eine angenehme Wärme in seinem Inneren ausbreitete. Im gleichen Moment befand sich der Wirt abermals in einer anderen Welt.
Eine neue Vision, erkannte er ganz richtig.
Die grüne Ebene war mittlerweile verdorrt und von dem prachtvollen Tempel schienen nur umgestürzte Säulen übrig geblieben zu sein. Der Himmel über der Landschaft hatte sich blutrot verfärbt. Und auch die Schwingen seiner geflügelten Gönnerin waren mit Blutspritzern übersät. Mit ausgebreiteten Schwingen kniete sie zwischen den Trümmern und blickte Mostache aus großen dunklen Augen an.
Mostache blinzelte und öffnete die Augen wieder. Das Bild blieb bestehen, wenn es auch nun leicht durchscheinend wirkte. Hinter dem knienden Körper des Engels konnte der Wirt vage das Prasseln der Flammen ausmachen.
»Blut«, flüsterte das geflügelte Geschöpf. »Blut ist Leben!«
Mostache legte den Kopf leicht schief. Er verstand nicht recht.
Das engelhafte Wesen erhob sich langsam, um dann wie in Zeitlupe auf ihn zuzuschreiten. Es deutete auf die Weinflasche in seiner Hand.
»Findest du nicht, dass du mir etwas Dankbarkeit schuldig bist?«, fragte es.
Unendlich langsam nickte Mostache. Mit einem Mal verspürte er das Bedürfnis, sich vor der Geflügelten in den Staub zu werfen. Er blieb jedoch wie angewurzelt stehen.
»Ja«, brachte er dann krächzend hervor.
Der Engel breitete die Arme aus. »Gut«, erklärte er. »Blut ist es, das ich fordere, viel Blut! Ich möchte, dass sich die Straßen dieses Tals mir zu Ehren rot verfärben!«
Mostache runzelte die Stirn. Obgleich der in Unmengen genossene Wein sein Aggressionslevel enorm gesteigert hatte, war ihm Gewalt doch eigentlich wesensfremd.
Das engelsgleiche Geschöpf blickte in die Runde. Als Mostache sich umblickte, sah er, dass die anderen Menschen ebenfalls gebannt innehielten. Sie sahen, was er sah!
»Ihr sollt töten für mich!«, erklärte das Wesen. Nur noch äußerlich erinnerte es jetzt an einen Engel. Alles Heilige war von ihm abgefallen, nur die blutigen Schwingen erinnerten noch an das ehemals so freundliche Geschöpf. Den zarten Gesichtszügen wohnte jetzt eine unnachgiebige Härte inne.
»Töten«, echote Mostache gedehnt.
Das Wesen nickte. »Bewaffnet euch und zieht hinaus. Erschlagt jeden, der noch nicht von meinem Wein gekostet hat.«
Ein Kichern perlte von den Lippen der Geflügelten. Selbst in seinem jetzigen Zustand empfand Mostache den Laut als zutiefst abstoßend. Diese Regung blieb jedoch tief in seinem Inneren verborgen. Längst war er der Unheimlichen hörig.
»Es wird jetzt Zeit, dass ihr euch zum Château begebt, meine Kinder«, erinnerte der dunkle Engel die Betrunkenen. »Macht die Bewohner nieder! Niemand darf entkommen.«
»Zum Château«, wiederholte Mostache. Als er erneut blinzelte, begann die Vision zu verblassen. Er schüttelte sich und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Es wollte ihm jedoch nicht gelingen. In seinem Kopf war nur noch Platz für die Befehle der Unheimlichen. Dennoch wusste er ganz tief in seinem Inneren, dass es schrecklich falsch war, ihr zu
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