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0978 - In den Ruinen von London

0978 - In den Ruinen von London

Titel: 0978 - In den Ruinen von London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adrian Doyle
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nicht und entsprechend heftig wurde sie durchgeschüttelt. Sie schrie auf - was sich weniger auf das Bremsmanöver als das Geschehen in der Kopfwunde ihrer Mum bezog.
    »Aussteigen!«, sagte ihre Mutter.
    »Warum soll ich…«
    »Die Straße, ist blockiert. Kein Durchkommen. Zu viel Verkehr. Wir gehen zu Fuß weiter.«
    Zu viel Verkehr? Carrie blickte fassungslos auf all die verlassenen Autos, die mit offenen Türen dastanden. Ein Durchkommen gab es tatsächlich nicht, aber ein normaler Stau sah anders aus. Zwischen unbeschädigte Fahrzeuge mischten sich immer wieder Wracks, die wie nach einer Explosion geborsten waren und aus denen heraus die skurrilsten Pflanzen wuchsen.
    »Aus-stei-gen!« Der Ton ihrer Mutter wurde schärfer.
    Carrie erkannte sie kaum wieder. Seit gestern erkannte sie fast nichts mehr wieder, in manchen Momenten nicht einmal sich selbst…
    Sie hebelte die Tür auf und setzte die Füße auf den Asphalt.
    »Lauf«, wisperte das Stimmchen aus dem Blütenblatt, das sie bei sich hatte. »Lauf heim! Hier ist es nicht gut für dich!«
    Während ihre Mum noch auf der Fahrerseite herauskletterte, orientierte sich Carrie rasch und rannte dann los.
    Den Weg zurück, den sie gekommen waren.
    Erst nach ein paar Sekunden bemerkte ihre Mutter, dass sie ungehorsam war. »Komm sofort zurück!«
    Schritte klapperten.
    Auch ohne hinter sich zu blicken, wusste Carrie, dass ihr das, was vorgab, ihre Mum zu sein, dicht auf den Fersen war.
    ***
    Als sie um einen großen, quer stehenden Transporter herumlief, prallte sie fast mit einem Mann zusammen, der wie aus dem Boden gewachsen plötzlich vor ihr stand.
    Carrie schrie auf.
    Der Mann drehte seinen Oberkörper in die Richtung, in die sie auswich. Er versuchte, sich in Bewegung zu setzen, aber seine Beine gehorchten ihm nicht. Statt Füßen hatte er Wurzeln, die sich in den Asphalt gegraben hatten. Er versuchte, sie daraus zu lösen, doch sie gaben nicht nach.
    Der Anblick des Fremden war insgesamt grauenerregend. Auch aus seinen Armen wuchs etwas hervor, das mehr Ähnlichkeit mit dürren Zweigen als mit Fingergliedern hatte. Und selbst aus seinem Kopf, aus seinen Augenhöhlen, sprossen kleine Verästelungen, an denen Augen wie Beeren hingen.
    Der Fremde war stumm. Der Mund stand weit offen, aber es waren keine Zähne zu sehen, kein Rachen, nur etwas Borkiges, das die Mundhöhle wie der Zahnschutz eines Boxers direkt hinter den Lippen abschloss.
    Carrie musste sich gewaltsam von dem Anblick losreißen, weil der Mann ihn irgendwie an ihren Dad erinnerte. (An das, was auch aus dir geworden wäre, wenn das Blütenblatt dich nicht erlöst hätte!)
    Ihre Mum tauchte hinter dem Transporter auf. Carrie bemerkte, dass die Stelle, wo das Haarbüschel herausgerissen worden war, kaum noch zu erkennen war. Dort sprossen statt Haaren nun grünliche Fäden, die an Gras erinnerten.
    Carrie hetzte weiter. Als sie über die Schulter blickte, sah sie, wie ihre Mum dem Pflanzenmann zu nahe kam und in die Reichweite seiner Arme geriet. Ein zähes Ringen entflammte. Carries Mum entschied es für sich, indem sie den Kopf der Gestalt mit den Beerenaugen zwischen beide Hände nahm und so verdrehte, dass das Genick mit einem peitschenden Knall brach, der bis zu Carrie zu hören war.
    Während ihre Mum die Verfolgung fortsetzte, hing der Schädel des Pflanzenmannes unnütz über der Schulter, trotzdem hielt die Kreatur sich aufrecht.
    Wie lange, beobachtete Carrie nicht, weil das Verhalten ihrer Mum sie endgültig überzeugte hatte, dass es nicht mehr ihre Mum war.
    Wenn ich nur nicht so schwach… wenn mir nur nicht so elend wäre…
    Die letzte Chemo lag erst so kurz zurück, dass ihr Körper noch einige Zeit brauchen würde, um sich davon zu erholen.
    Falls er sich unter den gegebenen Umständen überhaupt würde erholen können.
    Carries Verfolgerin hingegen zeigte keine Ermüdungsanzeichen. Im Gegenteil: Sie schien mit zunehmender Dauer der Jagd immer mehr Kräfte freizusetzen.
    Als Carrie an einem quer stehenden BMW vorbeikam, röhrte dessen Motor so plötzlich und laut auf, dass ihr Herz einen Hüpfer vollführte. Summend glitt die Scheibe auf der Fahrerseite nach unten, und ein Junge von höchstens sechzehn, siebzehn rief ihr zu: »Steig ein! Du scheinst keine von ihnen zu sein - also überleg’s dir, es ist deine Entscheidung. Ich tret in zehn Sekunden aufs Gas - ob du an Bord bist oder nicht!«
    Die Frau, die nur noch schwache Ähnlichkeit mit Carries Mum hatte, kam unaufhaltsam

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