0982 - Die Kinder der Zeitsäufer
besäßen nur einen Bruchteil von Santoas Mitteilsamkeit.
Ihre erste Anlaufstelle war die Gemeindeverwaltung - oder wie auch immer die korrekte Bezeichnung bei einem andalusischen Bergdorf lauten mochte. Dort trafen sie allerdings nicht auf Aramintas Vater Enrique Moriente, wie sie gehofft hatten, sondern nur auf eine ergraute Dame mit Hornbrille an einem wuchtigen Schreibtisch, die sich als Sekretärin des Bürgermeisters vorstellte. Sie teilte ihnen mit, dass Señor Moriente seit gestern nicht ins Büro gekommen sei, was man ihm aufgrund des Vorfalls mit seiner Tochter aber nicht verübeln könne.
Sie war die fleischgewordene Freundlichkeit. Bis Dylan - oder besser: Rodrigo Santoa in Dylans Auftrag - nach dem Teufelsfluch fragte. Sofort verschlossen sich ihre Gesichtszüge und sie kramte hektisch in den Unterlagen auf ihrem Tisch.
»Davon weiß ich nichts«, sagte sie. »Entschuldigen Sie mich, ich habe zu arbeiten.«
Als Nächstes fuhren sie zu Morientes Privatadresse. Das Gebäude am anderen Ende des Dorfes war zwar keine Villa im eigentlichen Sinne, hob sich aber von den restlichen Häusern erkennbar ab. Sie klingelten, klopften und riefen, aber niemand öffnete.
Also karrten sie erneut quer durchs Dorf und hin zu dem außerhalb gelegenen Hof von Javiers Vater Alejandro Cruz. Doch auch hier trafen sie keine Menschenseele an.
Überhaupt präsentierte sich das Dorf erstaunlich leer. Nur vereinzelt sahen sie Leute, die vor ihren Häusern saßen oder aus einem Laden kamen.
Als der Schotte weder Aramintas noch Javiers Vater antraf, beschloss er, wahllos die paar Menschen zu befragen, die er sah. Stets mit dem gleichen Ergebnis: Sie waren freundlich, als er sie ansprach, verwandelten sich aber in grummelnde Miesepeter, wenn er den Teufelsfluch erwähnte.
Und nun stand er hier, lehnte an der Rostlaube, die Ruben Hernandez in seiner Herzensgüte zur Verfügung gestellt hatte, und wusste nicht mehr weiter. Zamorra würde begeistert sein.
Es war inzwischen Nachmittag geworden.
Vor dem Marktplatz, auf dem sie parkten, bot sich ihnen ein fantastischer Blick über ein Tal, durch das sich ein Bach schlängelte. Am Hang auf der anderen Seite erkannte Dylan einige Viehweiden, Olivenhaine und Wälder. Die Luft roch herrlich sauber nach Natur.
»Wir könnten noch mal zu Señor Moriente fahren«, schlug Rodrigo vor. »Vielleicht ist er ja jetzt zu Hause. Oder wir versuchen es noch einmal bei Señor Cruz. Wir sollten nicht gleich aufgeben. Nur, wer es immer wieder probiert, kommt zum Ziel. Das hat schon meine madre - Gott hab…«
»Nein!«, fiel Dylan ihm ins Wort, um nicht noch mehr Weisheiten von Santoas toller Mutter aufgedrängt zu bekommen. Er zeigte quer über den Marktplatz auf ein weißes Ziegelhaus, über dessen Tür ein Schild baumelte, auf dem ein Bierkrug zu sehen war. »Jetzt trinken wir erst mal einen Schluck.«
»Das ist auch eine gute Idee. Sie sollten unbedingt unser Lanjarón kosten. Ein hervorragendes Mineralwasser aus einer Quelle der Sierra Nevada. Wer Lanjarón nicht probiert hat, weiß nicht, wie Mineralwasser schmecken kann. Schon als Kind habe ich es geliebt, wenn meine madre - Gott hab sie selig! - es mir eingeschenkt hat…«
Dylan schaltete auf Durchzug.
***
Das Gasthaus war gemütlich - und leer.
Bis auf den Wirt hinter der hellen Holztheke war kein Mensch zu sehen. Dylan fragte sich erneut, wo all die Leute des Dorfes steckten. Saßen sie in ihren Häusern und bibberten vor einem Teufelsfluch, von dem jeder vorgab, nichts darüber zu wissen?
Rodrigo Santoa redete auf den übergewichtigen Wirt in einer Sprache ein, von der der Schotte nur hin und wieder einen Fetzen als Spanisch erkannte. Dylan war froh, dass sein Dolmetscher jemand anderen gefunden hatte, über den er seinen Wortschwall ergießen konnte.
Der Wirt ließ es gelassen über sich ergehen. Er war Anfang sechzig und beinahe kahl. Immer wenn er Santoa pflichtschuldig annickte, bildete sein Doppelkinn noch zwei oder drei weitere Wülste aus.
Dylan nippte an dem Getränk, das vor ihm auf dem Tresen stand. Entgegen Rodrigos Ratschlag hatte er sich für ein einheimisches Bier entschieden. Ganz stilecht mit Schraubverschluss! Als sich die Flüssigkeit seine Kehle hinabquälte, ärgerte er sich darüber, nicht doch das ruhmreiche Mineralwasser bestellt zu haben.
»Der Koch hat heute seinen freien Tag, aber wenn wir trotzdem eine Kleinigkeit essen wollen, kann uns der Wirt was aufwärmen. Gerade von gestern sind
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