0987 - Das Seelenloch
sich dort abmalte wie ein flaches Ungeheuer. Es bewegte sich zuckend, als sich der Mann erhob, wurde schmaler und weicher, weil er sich vom Bett entfernte.
Das Schlafzimmer war ebenfalls schlicht eingerichtet. Es gab das große Doppelbett aus Holz. Es gab den Schrank, der ebenfalls noch Platz hatte, es war eine Tür vorhanden, auf die Karl zuging. Er zog sie auf. Wie immer Schleifte sie über den Boden, und wie immer knarzte sie auch in den Angeln.
Das Licht hielt er nicht ruhig. Seine Hand bewegte sich, und an der Decke erschienen dunkle Gestalten wie aus einem finsteren Dämonenreich entlassen.
Es war das normale Spiel zwischen Licht und Dunkelheit, nichts Besonderes, doch daran wollte Gertrud Huber nicht glauben. Für sie war der heutige Morgen völlig anders als alle anderen Tage.
Da ließ sie sich auch nicht von ihrem Mann reinreden, der an der Tür stand, schon halb auf der Schwelle, den Kopf zu seiner Frau gedreht.
»He, was hast du?«
»Bitte, nicht fragen, Karl. Ich fürchte mich.«
»Und was soll ich tun?«
Sie hob die Schultern. »Was du willst.«
»Das mache ich auch. Ich werde nach unten gehen und mir mal alles anschauen.«
»Besuche auch deinen toten Vater«, flüsterte Gertrud. Ihre Stimme hörte sich dabei an, als käme sie aus den Tiefen eines alten Grabs. »Tust du mir den Gefallen?«
»Klar. Danach komme ich hoch.«
»Moment noch.«
Huber verdrehte die Augen. »Was ist denn jetzt?«
»Schau erst mal nach der Tür. Der Haustür, meine ich. Vielleicht steht sie offen.«
Karl blickte in den schmalen Flur, wo sofort die Treppe begann. »Hm«, sagte er, und bei den nachfolgenden Worten klang seine Stimme gar nicht mehr sicher. »Du könntest sogar recht haben. Von unten her kommt so ein kühler Luftzug.«
»Eben.«
Huber biß sich auf seine Unterlippe, hielt sich ansonsten zurück, drehte sich um und ging.
Seine Frau blieb im Schlafzimmer zurück, aber nicht mehr im Bett. Sie stand auf und zog den verschlissenen Morgenmantel über, der über einer Stuhllehne gehangen hatte. Ihrem Mann zu folgen, traute sich Gertrud nicht. Mit den nackten Füßen schlüpfte sie in die Hausschuhe. Dann ging sie zur Tür, wo sie auch blieb und nach unten schaute.
Ihren Mann sah sie nicht. Dafür aber das Wechselspiel von Licht und Schatten, das seinen Weg nachzeichnete. Es huschte über die Wände und die Decke hinweg.
Er war noch auf der Treppe. Karl ging vorsichtig. Darüber wunderte sich Gertrud. Sie hatte ihn wohl beunruhigt und nervös gemacht, aber ändern konnte sie es nicht.
Dann hatte er die Treppe hinter sich gelassen, was genau zu hören war. Sie ging jetzt etwas weiter, um an der obersten Stufe stehenzubleiben. Ihr Mann war schon an der Tür, das hörte sie.
Er sagte nichts.
Gertrud wurde nervös. »Bitte, Karl, was ist denn?«
»Ich bin an der Tür.« Seine Stimme klang etwas gepreßt.
»Und? War sie offen?«
»Ja.«
Auf einmal schlug Gertruds Herz schneller. Sie mußte ihre Hand auf die Brust pressen. Es war einfach eine Geste, die sich nicht vermeiden ließ, aber sie konnte den Herzschlag nicht unter Kontrolle bekommen. Sie spürte den leichten Schwindel, klammerte sich am Handlauf fest und lauschte der eigenen Stimme, die fremd klang. »Bist du dir wirklich sicher, Karl?«
»Ich weiß doch, was ich sehe.«
»Und weiter?«
»Nichts weiter.«
»Dann habe ich doch recht gehabt. Mein Traum war keiner. Man hat uns besucht.«
»Das kann auch der Wind gewesen sein.«
»Nein, Karl, das nicht. Es hat keinen Sturm gegeben. Davon wäre ich erwacht.«
»Schon gut«, stöhnte er. Gertrud hörte, wie er die Tür schloß. »Ich werde mich jetzt umschauen und meinen toten Vater besuchen, damit du beruhigt bist. Sollte jemand hier im Haus gewesen sein, die Leiche hat er bestimmt nicht gestohlen.«
»Ja, das ist möglich.« Gertrud schaute zu, wie sich das Licht veränderte. Flackernd war es, dann schattenhaft. Mal hell, mal dunkel, dann war es verschwunden, als Karl den größeren Raum betreten hatte.
Er meldete sich nicht. Sie hörte ihn in der herrschenden Stille, die ihr auch nicht gefiel. Irgendwie kam sie Gertrud anders vor als sonst. Viel dichter und unheimlicher. Sie fror wieder, und mußte sich schütteln.
Plötzlich wollte sie nicht mehr oben im Schlafzimmer bleiben. Für einen Fremden war das Haus in der Dunkelheit wirklich nicht geeignet, aber Gertrud kannte jede Treppe, jede Bohle, jeden Fleck an der Wand und fand sich deshalb auch in der Dunkelheit zurecht.
Vorsichtig stieg
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