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0987 - Das Seelenloch

0987 - Das Seelenloch

Titel: 0987 - Das Seelenloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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sie die Stufen hinunter. Eine Hand glitt über den glatten Lauf des Geländers hinweg. An ihrem Nacken klebte der Schweiß. Er hatte sich dort zu großen Tropfen gesammelt, die irgendwann über ihren Rücken wandern würden.
    Auf der drittletzten Stufe blieb sie stehen, als hätte sie den Befehl dazu erhalten. Sie wußte auf einmal, daß etwas nicht stimmte und sich die Dinge auf eine fürchterliche Art und Weise verändert hatten.
    Gertrud sollte sich nicht geirrt haben.
    Sie hörte den Schrei, nein, die Schreie, und sie wußte, daß sie ihren Mann noch nie im Leben so hatte schreien hören. Die Laute nagelten sie für eine Weile auf der Treppenstufe fest - bis ihr einfiel, daß sie Karl nicht allein lassen konnte.
    So sprang Gertrud Huber über ihren eigenen Schatten und rannte die letzten Stufen hinunter…
    ***
    Karl schrie noch immer. Nur nicht mehr so laut. Es waren eher wimmernde Geräusche, die aus seinem Mund drangen. Er stand auf der Schwelle zum Leichenraum, und er hatte sich nach rechts gedrückt, um Halt zu bekommen. In seinem etwas zu großen, grauen Schlafanzug hätte er eigentlich eine lächerliche Gestalt abgegeben, aber darauf achtete Gertrud Huber nicht. Sie wußte, daß ihr Mann etwas Schreckliches gesehen haben mußte, aber sie konnte noch nicht ins Zimmer schauen, außerdem zitterten die Kerze und der Untersatz so stark, daß ein genaues Hinschauen einfach nicht möglich war. Karl Huber war kaum in der Lage, den Untersatz zu halten. Er war schon zur Seite gekippt, und er würde ihm in den nächsten Sekunden aus der Hand fallen.
    Gertrud war schneller. Bevor die Kerze mitsamt ihrem Untersatz auf dem Boden landete, sprang sie hinzu, hob den Arm und nahm die Kerze an sich.
    Ihr Mann merkte davon nichts. Er stand nur da und wimmerte. Tränen rannen über sein Gesicht. Der Mund bewegte sich zuckend, ebenso die Haut auf den Wangen.
    Gertrud Huber wunderte sich plötzlich darüber, wie stark sie war. Sie schaffte es, ihre eigene Furcht zu unterdrücken. Sie trat mit einem Schritt über die Schwelle hinweg, war im Totenzimmer, wo ihr das Licht nicht mehr normal vorkam, sondern viel heller und strahlender. Es war Einbildung, aber sie starrte auf den Toten und wollte einfach nicht glauben, was sie sah.
    Man hatte die Leiche vom Gesicht bis zum Bauch hin zerfetzt!
    ***
    Die Frau brach nicht zusammen, obwohl ihr die Gedanken etwas anderes sagten.
    Jetzt mußt du fallen! Jetzt mußt du ohnmächtig werden! Das geht nicht anders! Du mußt jetzt zusammenbrechen. Oder du mußt aufwachen und feststellen, daß du in deinem Bett liegst und einen fürchterlichen Alptraum gehabt hast.
    Nichts dergleichen passierte. Statt dessen konnte sich Gertrud nur über sich selbst und über die eigene Kraft wundern, denn sie ging tatsächlich auf das Bett mit der schrecklich zugerichteten Leiche zu. Man sagt immer, daß Tote nicht mehr bluten. Das mochte auch im Normalfall so sein, hier aber nicht, denn der Körper ihres Schwiegervaters war über und über mit Blutflecken bedeckt. Tiefe Wunden hatten sich hineingegraben. Zudem hatte sich das Blut rechts und links der Leiche verteilt.
    Die roten Tropfen lagen nicht nur auf dem Bett, sondern auch auf dem Boden, als wollten sie dort ein Muster bilden.
    Gertrud fühlte sich selbst wie eine Tote, die man kurzerhand auf die Füße gestellt hatte. Sie glotzte nach vorn. Sie sah die Leiche, aber sie war unfähig, den Anblick in sich aufzunehmen, geschweige denn, all die Dinge zu begreifen.
    Auf einmal spürte sie die Kälte. Sie kam von oben und zugleich aus der Wand.
    Die Frau bewegte ihren Kopf wie in Trance. Sie blickte über das Bett hinweg gegen die Wand, wo die Luke offenstand und das Seelenloch zu sehen war.
    Es war wie ein Auge.
    Sie schauderte zusammen, denn aus dem viereckigen Loch drang etwas hervor, mit dem die Frau nicht zurechtkam. Es war nicht die normale Kälte, sondern so etwas wie eine frostige Botschaft aus einer Entfernung oder Welt, die nicht hinter dem Haus lag, dafür aber weit entfernt war. Gertrud fröstelte noch stärker. Es gelang ihr nur mühsam, den Blick wieder zu wenden und nach unten zu schauen.
    Vor dem Bett verteilte sich das Blut in mehreren Lachen. Und dort malte sich etwas ab.
    Die Frau wollte es genau wissen. Deshalb ging sie in die Knie und leuchtete mit der Kerze.
    Abdrücke!
    Ja, es waren tatsächlich Fußabdrücke, aber sie waren nicht vollständig, und so konnte sie nicht erkennen, daß die Abdrücke weder von ihr noch von ihrem Mann stammten.

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