0987 - Das Seelenloch
verteilte.
Und dort entdeckte Jane auch das geheimnisvolle Seelenloch. Sie hatte an der Wand über dem Bett hochschauen müssen, um es überhaupt erkennen zu können.
Ein Loch im eigentlichen Sinne war es nicht. Eine Luke. Viereckig und durch eine Klappe zu schließen, die jetzt allerdings offenstand, damit die Seele auf dem Weg ins Jenseits durch nichts gehindert wurde. Es war kein sehr großes Loch, ein Mensch hätte nicht durchgepaßt, obwohl Jane beim Anblick dieser Öffnung urplötzlich der Gedanke gekommen war. Sie konnte den Grund selbst nicht nennen, es war wie ein Blitzstrahl gewesen, und sie war auch nicht in der Lage, ihren Blick wieder zu senken. So richtete sie die Augen zwangsläufig auf die Öffnung, von der sie ebenfalls wie von einem viereckigen und leeren Auge angeglotzt wurde. Es war leer auf der einen Seite, aber Jane hatte das Gefühl, daß dort trotzdem etwas hockte, mit dem sie nicht zurechtkam.
Wer?
Wer lauerte im Nichts?
Der Weg ins Jenseits, der von den Seelen der Toten benutzt wurde. So stand es in der Überlieferung, und viele glaubten daran. Jane fragte sich, ob das alles wahr war oder ob es auf Einbildung beruhte?
Sie wußte es nicht. Die Antwort war schwer. Sie kam nur nicht darüber hinweg, daß in oder hinter der Luke etwas Unheimliches lauerte. Das Teil einer anderen Welt, eine böse Dimension oder Sphäre.
Eigentlich führte das Seelenloch nach draußen, und sie hätte dort einen Ausschnitt des hellen Tageslichts sehen müssen. Nur war das einfach nicht der Fall. In dem Loch blieb es dunkel. Ein seltsames Dunkel allerdings. Geheimnisvoll und auch nicht ruhig. Leicht zitternd, tatsächlich ein Stück der anderen Welt.
Jane hörte sich selbst laut atmen und sogar stöhnen. Darüber ärgerte sie sich, denn sie wollte sich nicht von der anderen Kraft beeinflussen lassen.
Aber es war ein Vorhaben. Das Seelenloch über ihr in der Wand bedeutete mehr.
Es wurde für Jane tatsächlich zu einem beinahe schon magischen Auge. Sie schaffte es einfach nicht mehr, woanders hinzuschauen. Ihr Blick blieb einzig und allein auf dieses viereckige Loch fixiert, in dem etwas hauste.
Ja, hauste, das genau war der richtige Ausdruck. Eine unheimliche Kraft lauerte dort. Sie hatte sich ausgebreitet und sorgte dafür, daß der Bann immer stärker wurde. Jane Collins kam sich vor wie eine Figur, die es nicht schaffte, sich von der Stelle zu rühren. Sie vergaß das Bett, sie vergaß das Blut, sogar der süßliche, faulige und zugleich metallische Geruch störte sie nicht mehr, denn die andere Macht hatte die Oberhand gewonnen.
Sie war auf der Gewinnerstraße, und dagegen konnte sich Jane nicht wehren.
Plötzlich wollte sie zurück. Es war ihr unheimlich geworden. Das Loch tat ihr nichts, es war einfach nur da, aber es veränderte sich trotzdem, obwohl nichts zu sehen war. Nur die Finsternis klebte darin wie düsteres Pech.
Jane schaute hin.
Sie mußte hinsehen, denn es gab keine andere Chance mehr für sie. Es war der einzige Weg, der ihr hier vorgeschrieben war. Dieses Loch erinnerte sie an einen schwarzen Magneten, dessen unsichtbare Kraft direkt aus ihm hervorströmte. Zudem war es magisch aufgeladen und beeinflußte Jane Collins immer stärker.
Es war die Klammer des Bösen, die Jane nicht loslassen wollte. Sie hatte eine Haltung eingenommen, die mehr an eine Zinnfigur erinnerte. Jane kam einfach nicht weg, so sehr sie sich auch darum bemühte. Sie wollte sich zurückwerfen, aber die Gegenkraft war mächtiger. Ein gewaltiger Pol und zugleich mächtiger Trichter, der seine Kraft über sie ausschüttete.
Die Angst preßte ihr Inneres zusammen. Etwas, das eigentlich nur ein Gefühl war, spürte sie körperlich wie einen dreidimensionalen Gegenstand. Das Atmen fiel ihr schwerer. Sie merkte plötzlich, daß sie sich bewegte, daß sie sich wieder bewegen konnte. Und sie hatte den Kontakt zum Boden verloren.
Ich schwebe!
Es war ein schrecklicher Gedanke für sie. Jane merkte, wie sie vom Boden immer weiter abhob und ihre Füße bereits die Höhe der Bettkante erreicht hatten.
Das Seelenloch kannte kein Pardon, und das genau wurde Jane in diesen fürchterlichen Augenblicken klar. Es war grausam, es steckte voll mit einer Kraft und Macht, gegen die sie nicht ankam. Sie hatte sich die Kraft aus dem Jenseits oder einer anderen Dämonenwelt geholt, und als Mensch kam Jane Collins nicht dagegen an.
Sie mußte gehorchen.
Und dann spürte sie etwas anderes. In ihrem Innern breitete sich ein heißes
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