0988 - Die Magnetfrau
noch weniger mit normalen Maßstäben zu messen sind.«
Da hatte Suko recht, und ich stimmte ihm durch mein Nicken zu. Nebeneinander gingen wir der Außentreppe entgegen und schritten dabei über das erste auf dem Boden liegende Laub, über das sich auch die langen Nadeln einer Kiefer gelegt hatten und den Untergrund deshalb ziemlich weich machten.
Die Holztür mit dem wabenförmigen Außenmuster war natürlich geschlossen.
Wir suchten nach einer Klingel, fanden sie auch, hörten aber keine Glocke anschlagen. Dafür drang uns aus der Sprechanlage die Stimme einer Frau entgegen, die sich nach unseren Wünschen erkundigte.
Suko erklärte, wer wir waren.
»Moment, es wird geöffnet.«
Sekunden später schon konnten wir die Tür aufdrücken und betraten eine Halle, die eher der in einem Hotel glich, als in einer Arztpraxis.
Dieser Vorraum diente als Büro, denn hinter einem Schreibtisch saß eine blonde Frau mit schmalem Gesicht, dezent geschminkt, so daß die dunkelrote Kleidung mehr auffiel als ihr Lippenstift. Sie lächelte uns an.
Auf dem dicken Teppich waren die Schritte kaum zu hören. Der Computer auf dem antiken Schreibtisch wirkte in dieser Umgebung für mich zumindest deplaziert.
»Es freut mich, daß Sie so schnell gekommen sind. Dr. Gordon erwartet Sie bereits.«
»Ist er ungeduldig?« fragte ich.
»So kann man es nicht nennen, aber er ist schon ein wenig nervös, denke ich.«
»Können Sie uns mehr sagen?«
Die Dame hob die Schultern. »Auch wenn ich es könnte, ich dürfte es nicht.«
»Schon verstanden.«
»Wollen Sie mir dann folgen?«
»Immer.«
Wir konnten ihre gut gewachsenen Beine bewundern, als wir ebenfalls über den Teppich schwebten und Kurs auf eine Tür nahmen, auf der der Name Dr. Francis Gordon zu lesen war. Kein Vorzimmer, sondern der Weg ins Allerheiligste.
Die Einrichtung zeigte Stil. Es waren - abgesehen von einem PC - keine Geräte zu sehen und auch keine Pharmaka. Dafür eine Wand mit Büchern, Sessel, ein großes Fenster, das zum herbstlichen Garten hinwies, und der Besucher bekam immer mehr den Eindruck eines kleinen, aber hochfeinen Stadthotels, in dem er sich aufhielt.
Dr. Gordon paßte sich vom Outfit her der Umgebung an. Er trug ein curryfarbenes Kaschmir-Jackett, dazu eine dunkle Hose, ein einfarbiges Hemd und eine dezente Krawatte. Er war groß. Das angegraute Haar war bereits etwas gelichtet und wellig nach hinten gekämmt. Die Haut zeigte eine gesunde Bräune. Er sah aus wie ein Mann, der eben aus dem Urlaub gekommen war. Das kräftige Kinn stand vor. Über ihm wuchs eine etwas gekrümmte Nase, die von zwei Narben auf den Wangen umrahmt wurde.
Er war froh, uns zu sehen, was er nach der Begrüßung auch bekanntgab. Danach bot er uns Plätze und etwas zu trinken an. Wir entschieden uns für Wasser.
Die bequemen Sessel einer Sitzgruppe hatten uns aufgenommen. Sie waren bequem, denn wir saßen nicht zu tief und auch nicht zu hoch. Dr. Gordon ließ uns mit Fragen und Erklärungen in Ruhe, damit wir uns auf die neue Umgebung einstellen konnten, um uns dann zu erklären, daß er es haßte, seine Patienten in einem Zimmer zu empfangen, das sie unter Umständen ängstigen konnte.
»Für die Patienten ist es sicherlich schwer«, sägte ich. »Dafür kommen sie privat zu Ihnen.«
»Sicher.«
»Auch Celia Wayne?«
»Nein«, antwortete der Neurologe. »Sie wurde mir geschickt, und zwar von ihrer Mutter, die ich ziemlich gut kenne. Ich habe erlebt, welche Probleme die beiden hatten. Sie war völlig von der Rolle und ließ sich auch nicht beruhigen. Ich habe mir alles angehört und wollte natürlich nicht glauben, was mit Celia geschehen war. Ich behielt sie dann hier und mußte tatsächlich erleben, daß Grit, die Mutter, nicht übertrieben hatte.«
»Sie war also ein Magnet?« fragte Suko.
»Ja, Inspektor. Ein lebendiges Wesen, das Metall anzieht wie eben ein Magnet. Unglaublich, aber es entspricht den Tatsachen, und ich stehe vor einem Rätsel.«
Vor einem Rätsel!
Da hatte er den richtigen Ausdruck gewählt, denn für uns war diese Person ebenfalls ein Rätsel. Wir brauchten auch keine Fragen zu stellen, denn der Arzt kam von allein zur Sache. Er berichtete uns, daß er ein Experiment gewagt hatte. Er hatte die junge Frau zusammen mit Metallgegenständen quasi eingesperrt, sie beobachtet und festgestellt, daß ihr Streß zunahm. Er hatte sie zudem noch an ein Meßgerät angeschlossen, und verfolgt, wie die im Raum verteilten metallischen Gegenstände von ihr
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