0996 - Die Grabkriecherin
ein Gefühl, aber immerhin. Wissen Sie, in London herrscht Wohnungsnot.« Er kratzte sich am Kopf. »Daß hier niemand einziehen wollte, hat mich schon gewundert.«
»Wieso nicht?«
»Einige, die sich für die Wohnung interessiert haben, waren über diese Marcia informiert worden und auch über deren Tod. Na ja, da ist es eben so gewesen, daß sie sich nicht trauten, in die Räume einzuziehen, wo einmal so eine Frau gelebt hatte. Komisch, wie?«
»Jeder ist eben anders.«
»Ich habe sie genommen. Sie ist auch billiger geworden. Was soll ich Ihnen sagen? Ich bin zufrieden. Sehr sogar. Hier ist nichts passiert - und mir auch nichts.«
»Sie fühlen sich also wohl.«
»Ja, und meine Partnerin auch. Vorher haben wir sehr bescheiden gehaust, hier sind wir happy.«
»Das sollen Sie auch bleiben, Mr. Riordan. Ich bedanke mich noch einmal für Ihre Hilfe.«
»War mir ein Vergnügen«, erwiderte er leicht verlegen. »Man trifft ja nicht oft einen netten Polizisten.«
»Das würde ich nicht so sehen.« Zum Abschied nickte sie ihm zu, verließ das Haus und atmete zunächst einmal tief durch. Ich war erleichtert. Das hatte ich geschafft. Wunderbar. Eine schwere Hürde war genommen. Ich konnte die Grabkriecherin jetzt verstehen. Sie hatte Bescheid gewußt. Sie hatte ihren Plan danach aufgebaut, aber sie hatte sich nicht getraut, das Blut selbst zu holen.
Als ich die Straße betrat, sah ich den Rover zunächst nicht. Suko hatte ein Stück vorfahren müssen, um jemanden aus der Parklücke zu lassen. Im Spiegel mußte er mich gesehen haben, denn er setzte zurück und hielt direkt neben mir.
Da Suko mir die Tür geöffnet hatte, konnte ich bequem einsteigen. »Alles klar?« fragte er.
»Ja!«
Er schluckte. Dann lächelte er und wußte nicht so recht, was er sagen sollte.
»Es ist das Blut.« Ich stellte die Schale zwischen meinen Beinen auf den Boden. Suko blieb weiterhin am Steuer sitzen. »Diese Duna hat recht gehabt.«
»Alle Achtung. Und jetzt?«
»Werden wir wieder zurück zum Friedhof fahren und ihr das Blut persönlich überreichen.«
Suko schaute mich schief an. »Willst du das wirklich tun?«
»Nicht so richtig…«
»Also locken.«
»Sicher.«
»Sehr gut.«
Hinter uns räusperte sich Mandy die Kehle frei. »Ich habe zugehört. Ihr wollt wieder zurück?«
»Sicher.«
»Was ist mit mir?«
Sie sah ängstlich aus, als wartete sie auf eine Bestrafung. »Wir werden dich nach Hause bringen, Mandy«, sagte ich.
Für einen Moment schien sie mir zuzustimmen, dann schüttelte sie jedoch den Kopf. »Nein, ich will es nicht. Ich kann es auch nicht, John.«
»Was hält dich davon ab?«
»Ich will nicht in die Wohnung zurück, wo ich mit den dreien gelebt habe. Das ist Scheiße.« Sie schüttelte den Kopf, und ihr Mund hatte sich dabei verzerrt. »Das ist wirklich Mist, ist das. Ehrlich. Das müßt ihr verstehen. Verdammt noch mal! Wenn ich da bin, dann drehe ich noch durch.« Sie schluchzte wieder und wischte fahrig über ihre Augen.
»Was meinst du, John?«
Ich hatte schon nachgedacht und ließ mich durch Sukos Frage nicht aus dem Konzept bringen. »Im Prinzip ist es nicht schlecht, wenn sie mitfährt«, gab ich zu.
»Warum nicht?«
Ich schaute auf den Deckel. »Weil sie bekannt ist. Sie könnte mit der Blutschale losgeschickt werden, um…«
»Ein Lockvogel?«
»So ähnlich.«
»Verflucht, das ist riskant.«
»Ich weiß, aber nicht riskanter, als wenn sie mit ihren Freunden auf dem Friedhof wäre. Jetzt sind wir dabei und können ihr die entsprechende Rückendeckung geben.«
Mein Freund hob die Schultern. »Wenn du es so siehst, bin ich einverstanden. Ich weiß nur nicht, was unser Schützling dazu sagt. Frag sie lieber mal.«
Das brauchte ich nicht, denn Mandy hatte alles mit angehört. »Das ist schon okay«, sagte sie. »Ich bin einverstanden. Ich weiß ja sowieso nicht, wohin ich soll, jetzt, wo das passiert ist. Also fahre ich wieder mit euch zurück.«
»Gut«, sagte ich leise. »Wir werden auf dich achtgeben, darauf kannst du dich verlassen.«
»Was soll ich denn tun?«
»Das werden wir dir noch erklären. Entweder jetzt auf der Rückfahrt oder auf dem Friedhof. Du brauchst dir aber keine Sorgen zu machen, Mandy, wir sind keine Anfänger.«
»Das habe ich schon bemerkt.«
Wir fuhren bereits. Allmählich war auch die Spannung von mir gewichen, aber immer wieder mußte ich der zwischen meinen Füßen stehenden Schale einen Blick zuwerfen.
Das Leben ist immer voller Überraschungen. Nie
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