0996 - Die Grabkriecherin
soll sie nehmen und wieder in ihre Gruft hinabsteigen. Sobald dies geschehen ist, wirst du dich sofort zurückziehen und überläßt alles andere uns.«
Noch immer war sie skeptisch, und auch mein Lächeln konnte das Gefühl nicht vertreiben.
»Es ist ganz einfach«, sagte auch Suko.
Mandy atmete tief ein. Ihre Wangen bewegten sich, aber sie sagte zu uns kein Wort mehr.
»Alles klar?«
»Ja, John.«
Ich streichelte über ihre Wange. »Dann wünschen wir uns viel Glück. Denk daran, Mandy, auch wenn du uns nicht siehst, wir sind trotzdem immer in deiner Nähe, das verspreche ich dir.«
Eine Antwort konnte sie uns nicht mehr geben, ihre Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. Und sie bemerkte auch nicht, daß wir uns so leise wie möglich entfernten. Als Mandy sich gefangen hatte und wieder den Kopf hob, war sie allein.
Plötzlich fror sie…
***
Es war eine schlimmer Kälte. Sie hatte sich in ihren Körper hineingeschlichen, und es gab keine Stelle, die von ihr verschont geblieben wäre. Sie war einfach da. Sie war wie eine zweite Haut, die alles andere umgab, und es auch schaffte, ihr Herz zu umklammern. Die Kälte sorgte bei Mandy für eine gewisse Bewegungslosigkeit, und nach einer gewissen Zeit stellte sie fest, daß es das Gefühl der Angst war, das sie umklammert hielt.
Obwohl nichts passiert war, spürte sie diese Angst sehr deutlich. Sie setzte sich zusammen aus den Erinnerungen der Vergangenheit und der natürlichen Furcht vor der Zukunft.
So dauerte es eine ganze Weile, bis es ihr gelungen war, diese Angst zu überwinden, aber die Normalität hatte sie trotzdem nicht zurückgefunden. Sie konnte sich nur bewegen, und das sah sie schon als einen großen Vorteil an.
Zunächst schaute sich Mandy in der unmittelbaren Umgebung um. Sie suchte nach irgendwelchen Hinweisen. Sie wollte auch wissen, ob sich ihre neuen Freunde wirklich so gut versteckt hatte, wie es von ihnen gesagt worden war.
Ja, sie waren nicht zu sehen. Der Dunst oder die Schatten der Grabsteine hatten sie einfach geschluckt. Da waren sie weggetaucht, und Mandy mußte sich jetzt auf ihre Worte verlassen, daß sie sie auf keinen Fall aus den Augen lassen würden.
Abwarten…
Noch mußte sie warten. Und sie wollte sich auch bewegen. Mandy hob den rechten Arm leicht an, streckte ihn vor, dann berührte ihre Hand plötzlich den Stein an der Seite des Sarkophags. Eine völlig normale Berührung, aber die Hand zuckte zurück, als hätte Mandy einen elektrischen Schlag bekommen. Sie ärgerte sich selbst über die Reaktion, aber für sie war dieses Grab etwas Unheimliches, etwas Fremdes, mit dem man als normaler Mensch nichts zu tun haben wollte.
Sie stand daneben, und zwar so, daß sie gegen und in die Öffnung schauen konnte.
Im Innern war es dunkel. Nichts regte sich. Mandy überwand sich selbst und beugte sich vor. Eisschauer krochen ihr dabei über ihren Rücken.
Sie schüttelte sich. Mandy war nicht in der Lage, normal Atem zu holen. Ein Schleier aus dünnem Eis umkrampfte, ihr Herz, obwohl es schneller schlug als gewöhnlich.
Was sie durchlitt, war furchtbar. Das hatte mit den Gruftieabenteuern nichts mehr zu tun. Die waren zwar auch schaurig gewesen, aber hier ging es um Leben und Tod. Die Hand rutschte in die rechte Manteltasche, und Mandys Finger umklammerten das Kreuz mit der zusammengerollten Kette.
Ein gutes Gefühl durchlief sie. Plötzlich ging es ihr besser. Sie wußte, daß sie einen Schutzpatron hatte, abgesehen von den beiden Polizisten, die im Hintergrund lauerten und bestimmt eingreifen würden, wenn die Gefahr zu groß wurde.
Tief in ihrem Innern hoffte Mandy, daß John und Suko sich geirrt hatten und diese Blutsaugerin nicht mehr erschien. Vielleicht hatte sich Duna auch zurückgezogen. Vielleicht wollte sie auch nicht kommen. Vielleicht wußte sie, daß man ihr eine Falle mit einem menschlichen Köder darin gestellt hatte.
Ein Geräusch aus dem Innern des Grabs ließ sie so heftig zusammenzucken, daß ihre Hand aus der Tasche rutschte. Sie selbst hatte die Bewegung kaum mitbekommen, aber sie hatte dabei vergessen, das Kreuz hervorzuziehen.
Irrtum oder nicht?
Mandy hielt den Atem an. Sie war plötzlich starr geworden. Das Eis in ihrem Körper hatte sich zu einer festen Schicht verdichtet und erschwerte ihre Bewegungen. Die Kälte sorgte dafür, daß sie beinahe auf dem Boden festfror, und das Zittern hörte einfach nicht auf. Trotzdem überwand sich Mandy und legte eine Hand auf den Rand des Grabmals. Sie
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