1 - Schatten im Wasser
sie glaubte für einen Moment, einem Trugbild aufgesessen zu sein. Zögernd kroch sie zum Ausgang und streckte vorsichtig wie ein witterndes Tier ihren Kopf hinaus. Von dem großen Zulu war keine Spur mehr zu entdecken. Hatte er ihr den Weg freigegeben, ihr gestattet, dass sie das Kraut in seiner Hütte fand? Mit jagendem Herzen holte sie die Pflanze hervor und studierte sie.
Silbrige Blätter, ähnlich denen des Mimosenbaums, die am Ende in einer länglichen Dolde unscheinbarer, gelblicher Blüten endeten, saßen an einem vertrockneten Stängel. Sie zerrieb noch eins der trockenen Blätter und atmete den aromatischen Duft, den sie von Sicelos Aufguss so gut erinnerte, tief ein. Jetzt war sie restlos überzeugt. Sie hatte das Fieberkraut gefunden. Doch dieser Stängel würde bestimmt nicht ausreichen. Sie brauchte mehr, musste herausfinden, wo das Kraut wuchs. Mit langen Schritten hetzte sie zurück ins Haus. Johann war in einen unruhigen Schlaf gefallen, und sein Anblick trieb sie zur größten Eile an. Sie nahm sich nicht einmal Zeit, Schuhe anzuziehen, sondern griff sich ein Messer und einen aus Palmblättern geflochtenen Korb und erklomm den Hügel am Damm.
Das letzte Mal war Sicelo hier im Busch, den sonst niemand betrat, verschwunden. Sie hastete vorwärts, spürte kaum das lockere Geröll unter ihren Fußsohlen. Wochenlanges Barfußlaufen hatte sie unempfindlich gemacht. Baumgruppen mit flachen Kronen, wilde Bananen und Buschwerk zogen sich an der Flanke des Hügels nach Osten, wurden dichter und saftiger zum steinigen Bachlauf hin, der sich durch die flache Senke wand.
Catherine knotete ihren Rock über der Hüfte hoch, holte tief Luft, teilte den grünen Blättervorhang und trat ein.
Es war stil wie in einer Kathedrale, über ihr wölbte sich der von der Morgensonne durchschienene Blätterbaldachin. Es war mühsam, voranzukommen, das dornige Unterholz griff nach ihren Beinen, riss ihre Haut in Streifen ab, aber der Gedanke an Johanns Zustand trieb sie vorwärts.
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Doch keine der Pflanzen, deren Blätter sie zwischen den Fingern zerrieb, verströmte jenes unverwechselbare Aroma. Sie bückte sich, um den grünen Trieb eines halb verdorrten Krauts, das aus einem verwitterten Baumstamm wuchs, zu brechen, als eine Puffotter, unsichtbar durch das braune Diamantmuster ihres Rücken, heftig züngelnd hervorschoss.
Catherine machte einen Satz rückwärts und schlug dann einen großen Bogen um das Reptil. Aufgebracht zischte ihr die Schlange hinterher.
Catherine registrierte, dass dieses Zischen unglaublich laut war, dachte aber nicht weiter darüber nach, auch nicht, als sie einen schwachen Geruch nach rottendem Fleisch wahrnahm. Irgendwo lag wohl ein totes Tier.
Mit gesenktem Kopf kämpfte sie sich durchs Gestrüpp. Erst als sie einen tiefen Ton vernahm, ein Vibrieren, das beinahe unterhalb ihrer bewussten Wahrnehmungsebene durch ihren Körper schwang, hob sie die Augen und sah sich sechs Zulus gegenüber.
Es waren alles Frauen, und ihre Anführerin war Umafutha, die alte Sangoma. Jede von ihnen war mit Tierdärmen und Perlen behängt, Schlangen ringelten sich um Oberarme und Hälse, eine trug den oberen Teil eines vertrockneten Affenschädels auf dem Kopf, sodass dessen Fel als Haarfransen in ihre Stirn fielen.
Catherine zuckte heftig zusammen, weil es so plötzlich geschah und weil das Zischen, das sie für das der Puffotter gehalten hatte, von diesen Frauen kam. Mit weit geöffneten Mündern, die Lippen von den großen, weißen Zähnen zurückgezogen wie die Lefzen eines Raubtieres, fauchten sie aufs Fürchterlichste, und ihre Anführerin erzeugte einen unterschwelligen Brummton in ihrem Brustkasten, der Catherine fast den Kopf zum Platzen brachte.
Wie konnten menschliche Wesen derartige Töne hervorbringen? Sie hob ihre Hände, um ihr Haar aus der Stirn zu streichen, doch obwohl sie das Gefühl hatte, die Bewegung ausgeführt zu haben, hingen ihre Arme bleischwer an ihren Seiten herunter. Energisch wiederholte sie die Geste, doch ihre Arme rührten sich nicht.
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Die Alte kicherte hämisch und stieß ein paar Worte hervor. Darauf bewegten sich die anderen Frauen schlängelnd einige Schritte auf sie zu.
Die Hälse und Hände vorgestreckt, rhythmisch zischend, begleitet von diesem grausigen Brummton, bildeten sie einen Kreis, der sich allmählich um die Weiße zuzog. Sie verströmten derartige Bösartigkeit, dass Catherine kaum atmen konnte. Al es in ihr schrie nach Flucht, ihr Gehirn feuerte
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