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1 - Schatten im Wasser

Titel: 1 - Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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vergeudete Zeit. Nun sagt mir doch, ob diese Locken über den Ohren jetzt das Neueste sind? Und die Samtjacke, die du trägst, ist wirklich wunderhübsch. Ich bin so lange im Urwald gewesen, dass ich nichts mehr von der modernen Welt weiß.«
    Margarethe berührte geschmeichelt ihre Korkenzieherfrisur, zupfte die Schößchen der hochroten Samtjacke mit dem schwarzen Schnurbesatz zurecht. »Ja, nun, natürlich bin ich bestrebt, mich nach dem Neuesten zu kleiden ...«Angeregt ließ sie sich über die Mode, die neuen Haartrachten und die Künste ihrer Schneiderin aus, und Catherine war froh, sie abgelenkt zu haben.
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    Nach dem Abendessen zogen sich die Herren in die Bibliothek zurück, um Zigarre zu rauchen und Geschäftliches zu erörtern; die Damen versammelten sich wieder im Salon, dessen hohe Fenster und Flügeltüren weit offen standen. Catherine trank ihren Tee, hörte zu, antwortete, wenn sie etwas gefragt wurde, hing aber meistens ihren eigenen Gedanken nach, und die drehten sich alle um das bevorstehende Treffen mit Konstantin. Ihr Herz flatterte, ihre Beine waren schwer, und sie fragte sich, ob es das war, was in ihren Büchern als die süße Last der Liebe beschrieben wurde.
    Die Sonne sank langsam, ihre Strahlen tauchten die Wölkchen am Junihimmel in zartes Rosa. Die Zeiger der Standuhr standen auf zehn nach acht. In zwanzig Minuten war sie mit Konstantin verabredet. Jetzt musste sie nur dem schwatzenden Damenkränzchen entkommen.
    »Wollen wir nicht ein wenig Patiencen legen oder eine Scharade aufführen? Kennst du diese Spiele, Catherine? Oder spielt man an Bord der Schiffe, auf denen du in der Welt herumsegelst, etwas anderes?«, fragte die mausgraue Margarethe scheinheilig. »Ich bin über die Vorlieben von Matrosen nicht so informiert.«
    Innerlich lächelte Catherine bei ihrer Antwort, äußerlich jedoch zeigte sie ein betrübtes Gesicht. »Schafskopf kann ich ...« Das hatten die Matrosen immer gespielt, und die deftigen Ausdrücke, die sie dabei aufschnappte und in aller Unschuld vor Tante Adele anbrachte, hatten die an den Rand eines Herzanfalls getrieben. In ihrem heiligen Zorn hatte sich die Tante allerdings verpflichtet gefühlt, ihr Anstand beizubringen, und tat es schlagkräftig mit einem Kochlöffel, den sie auf Catherines Rücken entzweiprügelte. Sie leckte sich über die kleine Narbe an der Unterlippe, die sie daran erinnerte, dass sie Adeles Prügel mit blutig gebissenen Lippen und brennenden Augen schweigend durchgestanden hatte. Sie war noch immer stolz darauf.
    »Schafskopf? Nein, wie unkultiviert, das spielen doch nur Kutscher und solche Leute«, machte sich Margarethe lustig. »Da haben wir ja geradezu die Pflicht, dir die Zivilisation ein wenig
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    näher zu bringen. Du kannst uns zusehen, vielleicht lernst ja auch du es.«
    Catherine verschwieg, dass sie außerdem Schach spielte und im Tarock fast immer gewann. »Ach, ich würde mich lieber auf mein Zimmer zurückziehen, meinem Tagebuch von den aufregenden Ereignissen hier erzählen und dann bald schlafen gehen«, sagte sie stattdessen mit gekonnt schüchternem Augenaufschlag. Nichts hätte der Wahrheit ferner sein können. Sie fühlte sich so wach und lebendig wie noch nie. Das schiere Leben pulste durch ihre Adern.
    Frau Strassberg schaute sie fürsorglich an. »Aber sicher, meine Liebe, das ist eine vernünftige Idee. Wenn du dich für bestimmte Bücher interessierst, bediene dich in unserer Bibliothek.«
    Catherine dankte ihr artig, wünschte allen eine gute Nachtruhe und musste sich beherrschen, nicht vor Freude davonzu- hüpfen. Außer Sichtweite der Strassberg-Damen rannte sie die Treppenstufen zu ihrem Zimmer mit großen Sätzen hinauf. Schnell ordnete sie ihre Frisur, kniff sich in die Wangen, bis diese rosig schimmerten, und knöpfte ihr Kleid ordentlich zu. Es hatte viele Knöpfe, und die Vorstellung, dass Konstantin sie öffnen würde, einen nach dem anderen, ganz langsam, und seine Finger, seine warmen, festen Finger, über ihre Brust streiften, machte sie schwindelig. Mit Mühe riss sie sich zusammen und öffnete leise ihre Zimmertür, erstarrte, als diese laut knarrte. Doch die Hausgeräusche, gedämpfte Stimmen, Fußgetrappel der Bediensteten, Gelächter der Strassberg-Schwestern, übertönten den Laut. Federleicht flog sie die Treppen hinunter, huschte mit seidigem Rascheln an einem Zimmermädchen vorbei zum Wintergarten und von dort hinaus in den Garten. Es dämmerte schon. Die aufziehenden Nachtschatten

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