1 - Schatten im Wasser
nach neun Uhr, und sie saßen noch bei Kerzenlicht und Mondschein auf der Veranda.
»Dafür scheint es weniger Fieber zu geben. Vielleicht hängt das irgendwie zusammen«, erwiderte Catherine. »Es ist mir schon seit längerem aufgefallen, dass es wohl vom Wetter abhängig ist. Je mehr Regen es gibt, desto schlimmer wütet das Fieber. Schon mein Vater warnte mich vor sumpfigen Gegenden. Ich muss einmal darüber nachdenken.« Sie hielt ihren Zeichenblock auf den Knien, der Träger ihres dünnen Hemdes war ihr von der Schulter gerutscht. Zart schraffierte sie die Schatten in ihrer Zeichnung und verwischte sie, bis nur ein Hauch die Grübchen in den Wangen ihrer Tochter andeutete. »Dieses ist nur eine Skizze, als 691
Nächstes werde ich sie in Pastell malen, Öl ist nicht meine Stärke.« Mit schräg gelegtem Kopf hielt sie das Bild auf Armeslänge. Es zeigte Viktoria inmitten von Nofretetes Nachkommenschaft auf dem Verandaboden sitzend. Dan, der Schlangenfänger, hatte vor Monaten einen halbwüchsigen Kater angeschleppt, der, sobald er dazu imstande war, flugs zur Sache kam und sich dann wieder in die Büsche schlug. Das Ergebnis waren sechs entzückende Fel knäule, die das Haus durcheinander wirbelten.
Johann nahm ihr das Bild ab. »Wie wunderhübsch sie ist, nicht wahr?
Ich werde einen Rahmen dafür anfertigen und es im Wohnzimmer aufhängen. Ist sie nicht eine Schönheit, unsere Kleine?« Er beugte sich über die Wiege, die in ihrer Reichweite stand, und streichelte die rosigen Wangen seiner schlafenden Tochter.
»Wecke sie ja nicht auf. Ich bin froh, dass sie endlich schläft«, mahnte sie lächelnd. Johann war völlig vernarrt in sein Kind, er konnte sich morgens kaum von ihm losreißen, um auf die Felder zu reiten.
Er setzte sich wieder hin und entfaltete die Zeitung erneut. »Ach je, in den Lokalnachrichten steht, dass Mrs. Prudence Mitford sich nach England eingeschifft hat.«
»Al ein? Ist George nicht erwähnt?«
»Al erdings. Offenbar ist er auf und davon, um im gelobten Land Gold zu suchen.«
Sie ließ ihren Zeichenstift sinken. »Nach Australien also.« Sie kicherte.
»Kannst du dir den geschniegelten George auf den staubigen Goldfeldern zwischen all dem Gesindel vorstellen? Er wird Ausschlag vor lauter Ekel bekommen.«
Doch Johann war nicht zum Scherzen zumute. »Charlie Sands werde ich auch kaum halten können. Er redet von nichts anderem mehr als davon, was er tun wird, wenn er reich ist. Lieber Gott, weißt du, wovon dieser Einfaltspinsel träumt? Er wil sich einen Landsitz im guten, alten England kaufen und Landedelmann werden!«
Jetzt lachte Catherine laut. Die Vorstellung war zu grotesk. »Wenn er geht, was machen wir ohne ihn? Du wirst einen anderen jungen Mann brauchen.«
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Er kratzte sich am Kopf. »Es verlassen so viele das Land, dass Natal allmählich leer läuft wie eine umgekippte Flasche. Mit der Wirtschaft geht's bergab, die Preise für Vieh und Farmerzeugnisse fallen, weil die Nachfrage sinkt. Es könnte sein, dass ich keinen Verwalter mehr brauche, jedenfalls nicht in dieser Zeit.«
Sie sah beunruhigt hoch. Er klang ziemlich deprimiert. »Was dir wirklich zu schaffen macht, ist die anhaltende Dürre, nicht wahr?« Und die Heuschrecken, die Rinderpest, die Zecken, die Affen, die den letzten Mais klauten, die wilden Schweine, die die Felder umwühlten. Die Liste war endlos, und sie hatte das alles unglaublich satt. Immer wenn sie glaubte, über den Berg zu sein, passierte etwas, um sie wieder zurückzustoßen. Wir sollten die Farm »Sisyphos' Qualen« nennen, dachte sie grimmig.
»Hier, hör dir das an«, rief er. »Der Gouverneur wil eine Belohnung für denjenigen aussetzen, der Gold in Natal findet. Mein Gott, ist der Mann sich nicht im Klaren darüber, dass alle fragwürdigen Elemente, die sich bei uns herumtreiben, nun jeden Quadratfuß des Landes durchwühlen werden, egal, wem der gehört? Es wird Mord und Totschlag geben, glaub mir!«
Sie legte ihre Zeichnung auf den Tisch und sah ihn an. »Gold. Hier?
Wäre das nicht wunderbar? Wir sollten vielleicht gleich anfangen, Inqaba umzugraben. Wer weiß, vielleicht sitzen wir ja auf einem Vermögen«, sagte sie, lächelte dabei aber. Angeleuchtet vom Kerzenlicht, tanzten Dutzende riesiger Wanderheuschrecken ein geisterhaftes Ballett um ihre Köpfe. Wie betende Nönnchen sahen sie aus mit ihren ausgebreiteten Flügeln, dem dicken Kopf und den lang herunterhängenden Beinen. Nofretete fing eine aus der Luft und fraß sie
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