1 - Schatten im Wasser
todunglücklich. Danach engagierte mein Vater umgehend meine sehr entfernte Kusine Wilma Jessel, die sich seit dem Tod ihrer Eltern ohne Geld durchs Leben schlagen musste und als Gouvernante ausgebildet war. Von nun an überwachte Wilma, die übrigens nur sieben Jahre älter ist als ich, meine Erziehung und meine Bildung. Sie nahm diese Aufgabe unangenehm ernst.« Catherine lächelte zu ihrem Mann hoch. »Jetzt weißt du, was ich für ein schreckliches Kind war und dass du von mir wohl noch einiges ertragen musst.«
»Bei uns in Niederbayern züchtigt man aufmüpfige Ehefrauen immer noch mit der Rute«, lachte er und drückte ihr einen Kuss auf den Mund.
Der Wind hatte aufgefrischt, der große Segler machte gute Fahrt, und nach und nach erschienen immer mehr Menschen an Deck. Einige nahmen ihr Frühstück auf ihren Reisetaschen sitzend ein. Die meisten Auswanderer schleppten ihre Wertsachen oder das, was sie dafür hielten, ständig mit sich herum. Keiner traute dem anderen.
»Sie haben den Hai, sie haben den Hai«, kreischten die vier Robertson-Kinder und sausten herum wie übermütige Frischlinge. »Ein riesiger, riesiger Hai. Er hat mindestens zehn Menschen gefressen, sagt der Kapitän, mit einem einzigen Bissen verschlingt er sie.«
Johann und Catherine gingen zum Heck, wo sich bereits eine Traube von erregten Zuschauern um die Männer geschart hatte, die mit aller Kraft die Angel einzogen. Selbst die zimperlichen Jungfern waren gekommen. In sicherer Entfernung streckten sie, eng aneinander gedrückt, neugierig die Hälse vor und plapperten aufgeregt. Catherine unterdrückte das Bild einer Schar schnatternder Gänse. Mit einem Seitenblick streifte sie Johann.
Sollte sie die Menschheit mit Tieren vergleichen, gehörte er eindeutig zur Gruppe der Löwen. Oder vielleicht zu den Elefanten?
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Groß, unverwundbar, zuverlässig und ihr Schutz gegen das Böse der Welt.
Ein gutes Gefühl, dachte sie und wurde sich erst jetzt bewusst, wie sehr sie das in ihrem bisherigen Leben vermisst hatte.
Ein Aufschrei aus vielen Kehlen schnitt durch ihre Gedanken, als der Kopf des großen Fisches die Wasseroberfläche durchbrach, das aufgerissene, riesige Maul entblößte Reihen von nadelspitzen, dreieckigen Zähnen.
Johann pfiff anerkennend. »Ein Großer Weißer, der gefährlichste von allen. Vor einiger Zeit, bei einer Schiffshavarie vor unserer Küste, wurde eine größere Anzahl der bedauernswerten Passagiere, die von dem untergehenden Schiff gesprungen waren und sich schon in Sicherheit glaubten, als sich Boote zu ihrer Rettung vom Strand her näherten, in einem Blutrausch von einem Rudel Großer Weißer verschlungen.«
»Hätten sie sich nicht auf die Schiffstrümmer retten können? Bei derartigen Unglücken schwimmen doch immer Holzplanken, ja sogar Tische und Kisten herum.«
Er zuckte die Schultern. »Das taten sie auch. Ein Überlebender, der mit vier anderen Passagieren rittlings auf einer Kiste hockte, erzählte, dass ein besonders großer Hai den Kopf aus dem Wasser gestreckt hatte, um nachzusehen, ob sich die Beute lohnte. Dann sprang er und schnappte sich einen der Leute, und seine Genossen holten sich die drei anderen.«
Catherine schluckte und trat vorsichtshalber einen Schritt von der Reling zurück. Sie wurde gewahr, dass Mrs. Robertson zugehört hatte und Johann schockiert anstarrte. Catherine fühlte Mitleid mit der hochschwangeren Frau, die kaum in guter Verfassung war. Blass und mager war sie, und ihre Kleidung und die der anderen Familienmitglieder war abgewetzt und verbraucht. Sicherlich hatte sie ihr Land nicht freiwil ig verlassen, um hier in der Wildnis ihr Glück zu suchen. Finanzielle Not musste sie dazu getrieben haben. »Er ist immer zu Scherzen aufgelegt«, raunte sie der Engländerin zu.
»Oh, dann ist es ja gut«, lächelte Mrs. Robertson schwach und legte eine Hand auf ihr ungeborenes Kind.
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Es dauerte noch über eine Stunde, ehe es den Matrosen gelang, den Hai an Bord zu ziehen. Als der massige Körper über die Reling rutschte und an Deck krachte, stoben alle angstvoll davon. Das Tier war in der Tat riesig, sprang herum, schlug mit dem Schwanz wild um sich und schnappte nach allem, was ihm im Weg war.
»Jesusmariaundjosef, sieh dir das an! Sein Kopf hat doch mindestens zehn Fuß Umfang!«, rief Johann und zog seine Frau hastig aus der Gefahrenzone.
Ein Matrose warf dem Hai ein Holzscheit von der Länge und Dicke eines Männerarms zwischen die Kiefer. Der Hai biss es mit der
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