10 - Das Kloster Der Toten Seelen
wieder erholt hast, Eadulf. Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht.«
K APITEL 3
Der folgende Tag war strahlend schön und wolkenlos. Eadulf trat vorsichtig vor das Hospizgebäude und mußte feststellen, daß er sich immer noch schwach auf den Beinen fühlte und ihm ein wenig schwindlig war, ganz so, wie es Bruder Rhodri ihm warnend vorausgesagt hatte. Dennoch tat ihm die kalte frische Luft gut, und bald war auch der Schwindel verschwunden.
Der Hafen von Porth Clais lag in einer Flußmündung an einer langen schmalen Bucht am Meer. Zu beiden Seiten des Flusses erhoben sich Berge. Ein paar kleine Fischerboote schaukelten sanft auf dem Wasser. Hier und da schmiegten sich einzelne Häuser in die mit Stechginster und Heidekraut überzogenen Hügel.
Eadulf fielen die Vögel auf, für die die schmale Bucht einen natürlichen Zufluchtsort bildete. Sie kreischten laut, stießen hinab und schwangen sich wieder empor. Er nahm auch die Seerobben wahr, die im Wasser planschten. Es war einfach idyllisch hier. Er bemerkte, wie ein Robbenjunges auf das schlammige Ufer ihm gegenüber kroch. Da näherte sich dem Tier der dunkle Schatten eines Raubvogels. Nun erschollen Schreie, und der graue Kopf der kleinen Robbe wurde blutig, denn die Klauen des Vogels hatten sich in ihn gebohrt. Doch war es dem Raubvogel nicht gelungen, seine Beute davonzutragen. Die besorgte Robbenmutter tauchte aus den Wellen auf und lockte das Junge zu sich. Eadulf sah den rostbraunen Räuber, den er als Turmfalken ausmachte, hoch oben in den Lüften, wie er zu einem zweiten Sturzflug ansetzte. Das Robbenjunge, ermutigt von den Rufen der Mutter, hatte es aber bereits ins Wasser geschafft. Das Leben war nie idyllisch, wie Eadulf diese Szene vor Augen führte.
Er drehte sich um, ging den Weg entlang, bis er einen Baumstamm fand, auf den er sich niederließ. Die Sonne, die zwar nicht die Kraft des Sommers besaß, schien dennoch warm und wohltuend. Ein, zwei Leute zogen an ihm vorbei und grüßten ihn in ihrer Mundart. Er rief sich seine spärlichen Kenntnisse der britannischen Sprache wieder ins Gedächtnis und erwiderte ihren Gruß. Während seines Studiums in Tuam Brecain war er mit zwei Mönchen aus dem Königreich von Powys zusammengekommen. Eine Zeitlang hatte er sich bemüht, ihre Sprache zu erlernen. Er war sich der Feindschaft zwischen Britanniern und seinem eigenen Volk sehr bewußt. Wenn Eadulf manchmal in aller Ruhe darüber nachsann, konnte er sehr wohl begreifen, wo die Wurzeln dieser Feindschaft lagen.
Zu seines Vaters Zeiten war das britannische Königreich von Elmet zerschlagen worden. Man hatte Ceretic, den Herrscher des Reiches, ermordet, und die Bevölkerung war vom sächsischen Kriegsfürsten Snot nach Westen getrieben worden. Snot hatte seine Siedlung oder sein ham am Westufer des Flusses errichtet, der die Grenze des winzigen Königreiches bildete. Inzwischen war Snotingaham zu einer blühenden angelsächsischen Stadt herangewachsen, doch einst hatten dort Britannier gelebt. Natürlich konnte Eadulf verstehen, warum die Britannier die Angelsachsen haßten. War es nicht auch so, daß die meisten Angelsachsen diesen Haß erwiderten? Dadurch, daß die Angelsachsen das Christentum angenommen hatten, war die Kluft zu den Britanniern eher noch größer geworden.
Eadulf hatte von den Altvorderen gehört, wie sich vor über sechzig Jahren der römische Benediktiner Augustinus, vom Papst aus Rom gesandt, mit vierzig Mönchen aus Snotingaham im Königreich Kent niedergelassen hatte, um die Christianisierung des Landes voranzutreiben. Er war dabei auf irische Missionare gestoßen, vor allem im Norden, die versuchten, den heidnischen Angelsachsen den christlichen Glauben näherzubringen – und das Lesen und Schreiben. In Canterbury kam er zu einer Kirche, die dem heiligen Martin von Tours geweiht war und die die Britannier errichtet hatten, ehe sie von den Jüten vertrieben wurden. Die christliche Gattin des Königs von Kent, die aus dem Frankenreich stammte, und ihr Kaplan feierten dort ihren Gottesdienst. Augustinus wußte, daß die Britannier seit der römischen Eroberung Christen waren und forderte ein Treffen mit ihren Bischöfen an der Grenze zwischen ihren restlichen Gebieten und dem Land der Angelsachsen.
Durch die vielfältigen Berichte über Augustinus war Eadulf klargeworden, daß ihm die alte römische Arroganz der Eroberer eigen gewesen war. Für Augustinus waren die Britannier Barbaren, eine Haltung, die auch die
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