10 - Das Kloster Der Toten Seelen
inzwischen stets erfrischt und belebt nach einer solchen Prozedur.
Fidelma sehnte sich ebenfalls nach einem Bad und neuen Kleidern. Nach der vorigen Nacht kam sie sich besonders beschmutzt vor. Erst nach einer Reihe von Bädern würde sie sich wieder ganz sauber fühlen. Doch da war noch eine andere Sache, wegen der sie gern nach Llanwnda zurückkehrte. Die ganze Zeit hatte sie sich um Idwal Sorgen gemacht. Sie hatte nicht das Gefühl abschütteln können, daß der Junge am Tod von Mair unschuldig war, auch wenn sie da mehr ihrem Instinkt folgte als der Logik. Wie weit war Bruder Meurig wohl mit dem Fall vorangekommen? Vielleicht konnte das, was sie über Mairs Vater Iorwerth erfahren hatten, nützlich sein.
Der Weg führte sie durch ein dichtbewaldetes Tal, hinter dem sich die Siedlung Llanwnda befand. Fidelma wurde auf einmal bewußt, daß dies wahrscheinlich der Wald war, in dem das Mädchen erwürgt worden war. Sie hätte es gern ganz sicher gewußt, hätte sich gern die Stelle angesehen, auch wenn ihr klar war, daß es dort keine Spuren mehr gab. Sie nahm die Orte eines Verbrechens immer in Augenschein, wenn sie es einrichten konnte. So konnte sie sich einen Tathergang besser vorstellen.
Sie teilte Eadulf ihre Gedanken mit, und sein Blick verdüsterte sich.
»Wäre es nicht besser, sich aus Bruder Meurigs Fall rauszuhalten?«
»Raushalten? Warum?« fragte Fidelma verärgert. »Eadulf, du weißt, ich als eine dálaigh kann nicht einfach so dabeistehen und ein Verbrechen mit ansehen.«
»Doch es ist nicht dein …«
»Nicht mein Land? Du hast bei unseren vorigen Fällen auch nicht gesagt, daß du als Sachse dich nicht einmischen kannst! Ein Verbrechen bleibt ein Verbrechen, ganz gleich, wo es geschieht. Justitia omnibus – Gerechtigkeit für alle.«
»Ich wollte nur sagen …«, versuchte sich Eadulf zu verteidigen.
Mit einer Handbewegung brachte sie ihn zum Schweigen. »Ich weiß schon, was du sagen wolltest.«
Eine unbehagliche Pause folgte.
Plötzlich bedauerte es Fidelma, daß sie ihren Verdruß immer so rasch zeigte. Sie wußte, daß ihr aufwallendes Gemüt und ihr manchmal harter Ton tadelnswert waren. Da erinnerte sie sich an ihren Mentor, Brehon Morann, der oft gesagt hatte, ein Mensch ohne Fehler gleiche einem Toten. Dennoch sollte sie versuchen, ihre Stimmungen besser zu beherrschen.
»Es tut mir leid«, sagte sie plötzlich zu Eadulfs Überraschung. »Seit wir in dieser Gegend sind, habe ich das eigenartige Gefühl, daß hier viel Böses im Gange ist. Irgend etwas geht hier vor, wir bekommen aber immer nur einen Bruchteil davon mit. Ich denke, wir sollten Mairs Tod und das Verschwinden der Klostergemeinschaft von Llanpadern im Zusammenhang betrachten.«
Eine Weile erwiderte Eadulf nichts.
Fidelma sprach also weiter. »Ich weiß, daß du so bald wie möglich nach Canterbury weiterwillst, doch ich könnte keine Ruhe finden, wenn ich nicht dahinterkomme, was hier geschieht.«
Eadulf war nun gezwungen, etwas zu erwidern. »Nichts anderes hatte ich erwartet. Es ist nur, daß ich mir um deine Sicherheit Sorgen mache. Um unsere Sicherheit«, berichtigte er sich. »Ich habe mich schon vorher oft in Gefahr befunden, doch so bedroht habe ich mich noch nie gefühlt. Wenn du oder ich Clydog wieder in die Hände fallen …« Diesen Satz beendete er nicht, doch es war klar, was er sagen wollte.
»Dann müssen wir eben dafür sorgen, daß uns das nicht wieder passiert, mein Lieber«, erwiderte Fidelma munter und mit mehr Zuversicht, als sie selbst empfand.
Sie gelangten auf eine kleine Lichtung mitten im Wald, auf der eine Holzfällerhütte stand.
»Wir sollten vielleicht mal fragen, ob wir uns noch auf dem richtigen Weg nach Llanwnda befinden«, meinte Eadulf.
Die Tür stand halb offen. Fidelma brachte ihr Pferd zum Stehen und rief nach ihren Bewohnern. Es kam keine Antwort.
Die Hütte war klein, davor lag ein Stapel Holz. Jemand hatte gerade Feuerholz gehackt, denn eine langstielige Axt steckte in einem der Kloben.
Eadulf deutete schweigend auf die Axt, von der Blut tropfte. Vielleicht hatte sich der Holzhacker verletzt?
»He da!« rief Fidelma erneut. »Ist da jemand? Können wir helfen?«
Kein Laut, keine Regung.
Eadulf schwang sich von seinem Pferd und ging zur Hütte. Er blickte ins Innere und schrie auf.
»Da liegt ein Mann, anscheinend bewußtlos!« rief er und verschwand im Dunkel der Behausung. Fidelma war gerade dabei, ebenfalls vom Pferd zu steigen.
»Was ist los?« fragte sie
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