100 Tage Sex
die an Sandpapierblätter erinnerte. Dann setzte das Flugzeug zur Landung an. Bald darauf erreichten wir das Flamingo, ein altes Casino und Hotel am Strip, das der Mafioso Benjamin »Bugsy« Siegel Silvester 1946 eröffnet hatte, also vor mehr als sechzig Jahren. Von meinen früheren Besuchen in der Stadt konnte ich mich noch gut an das Flamingo erinnern, aber der Strip hatte sich enorm verändert, selbst seit den 1990ern.
Eine der Merkwürdigkeiten in Vegas besteht darin, dass das Verschwinden etlicher Casinos der ersten Generation der Stadt überhaupt nichts anhaben konnte. Überall sonst würde der Abriss des historischen Kerns einer Stadt das Herz herausreißen. Doch Vegas gibt gar nicht erst vor, etwas anderes zu sein als eine sich ständig verändernde Luftspiegelung. (Selbst Disney baut in seinen Vergnügungsparks auf Nostalgie und die Tradition »alter« Fixpunkte - die klassischen Fahrgeschäfte und Attraktionen bekommen zwar Faceliftings, aber die Abrissbirne droht ihnen fast nie.) Die Beständigkeit von Las Vegas liegt nicht in den Gebäuden oder Straßen, sondern in der unermüdlichen, fast zwanghaften Veränderung. Das einzig Beständige ist der Wechsel. In zwanzig Jahren, wenn ich bereits Richtung Pensionierung gleite, wird sich die Stadt wieder neu erfunden haben, mehrfach. Und wenn nicht, wird sie mich langweilen.
Andererseits würde es mich schmerzen, wenn das Flamingo abgerissen würde. Rosa Riesenflamingos, die muss man doch einfach lieben.
Wir bekamen ein großes Zimmer mit Blick auf den Strip. Das Bett thronte wie ein Flugzeugträger in einem Ozean
aus blauem Flauschteppich. Wir warfen unsere Taschen hin und packten aus. Als Nächstes stellte sich die Frage: Was trägt man überhaupt auf einer Pornomesse? Wir hatten beide keine Ahnung. Hochhackige Pumps für Annie? Eine Lederhose für mich? Ich entschied mich für Jeans, ein weißes Button-down-Hemd und ein sportliches schwarzes Jackett mit Nadelstreifen. Diesen Look hatte ich nie zuvor ausprobiert, aber in Zeitschriften gesehen. Dort hatte er hip und jugendlich gewirkt. Genau der Eindruck, den ich hier erwecken wollte. Aber als ich das Jackett anzog, fühlte ich mich gar nicht besonders hip oder jung - was ja leider auch der Wahrheit entsprach. Annie trug eine bewährte Kombination: einen kurzen Cordrock, braune Stiefel und eine wilde Strumpfhose mit bunten Wirbeln und Formen, die die Leute rätseln ließ, ob Annie einem besonders kreativen Tätowierer unter die Finger gekommen ist.
Auf der Messe schoben wir uns in die herumschlendernde Phalanx glotzender Normalbürger: Paare mit Pauschalarrangement und dem festen Vorsatz, über die Stränge zu schlagen, sowie Proleten mit Baseballmützen, T-Shirts mit dem Aufdruck »10 Gründe, warum Bier besser ist als eine Frau« und übertriebenen Hoffnungen auf erotische Abenteuer.
Die Messe fand im Venetian statt, und ich hatte den Raum kaum betreten, da fielen mir schon die ersten echten Pornostars meines Lebens ins Auge. An ihrem Aufzug erkannte man eindeutig, dass sie zur Branche gehörten. (Möglicherweise habe ich schon früher Pornostars getroffen, es aber nicht gemerkt, weil sie Jogginganzüge oder Ähnliches trugen.) Ihre Kleidung war eng anliegend und
extrem knapp, die Absätze hörten gar nicht mehr auf, die Brüste waren schlicht gigantisch. Aufgeblasene, pralle Euter, Torpedos, die in grotesker Häufung durch das Casino getragen wurden und alle Blicke auf sich zogen. Die Besucher trugen Hawaiihemden und türkisfarbene Blusen, umklammerten langhalsige Flaschen warmen Biers und Zigarren. Hälse wurden verrenkt, Kinnladen fielen herunter, und so mancher stand tatsächlich mit offen stehendem Mund in der Gegend herum.
O mein GOTT.
Und das war nur die Casinoebene.
Daneben gab es noch die Messe selbst, auf der Annie mit dem ersten Presseausweis ihres Lebens um den Hals herumspazierte. Sie war mitgekommen, um Fotos zu machen. Die Post hatte mir keinen Fotografen mitgegeben, und Annie war zwar keine professionelle Fotografin, aber wir fanden, Bilder würden sich ganz gut machen, wenn nicht in der Zeitung selbst, dann auf ihrer Website. Annie hatte an ihrem laminierten Presseausweis eine diebische Freude. Er verschaffte uns flotten Zugang zum ersten Stock mit seinen Horden von Pornostars, seinen Sexspielzeug-Verkäufern, Pornotechnikfreaks und ihren Online-Geschäften und den Vortragssälen.
Überall liefen Hardcorepornos auf gigantischen Flachbildschirmen. Und darunter? Standen die Stars der
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