1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg
Atlantik gehen wollte, konnte ich das kaum fassen.
„Die spinnen, die Belgier“, dachte ich bei mir und genoss das Abendmahl in dieser besonderen Gruppe von unterschiedlichen Pilgern. Es sollte mir als eines der schönsten in Erinnerung bleiben.
Tag 5
Artieda / Ruesta / Sangüesa
Als ich nach einem tiefen Schlaf erwachte, war ein riesen Gewusel im Zimmer. Christiane und der Belgier waren dabei, ihre Rucksäcke zu packen und Monica, die ehemals Schweigsame, trat schon in voller Montur von der Terrasse herein. Gestern hatte ich sie am Tisch einige Male lächeln sehen, aber jetzt hatte sie wieder einen Gesichtsausdruck, der mich nur einen kurzen Gruß aussprechen ließ.
Ich horchte in mich hinein, um zu erkennen, dass ich keine Anzeichen von Schwäche oder Krankheit erkennen konnte. Also krabbelte ich auch aus meinem Hochbett und verschwand erst mal in der Dusche. Als ich zurück ins Zimmer kam, war nur noch Christiane da.
„Hier hast du dein Frühstück. Die Kellnerin hat gestern Abend für jeden ein Sandwich gemacht. Frühstücken kannst du hier nämlich nicht. Ich mach’ mich auf den Weg. Mach’s gut. Wir sehen uns.“ Mit diesen Worten griff sie sich ihren Rucksack und schloss die Tür hinter sich.
Ich trat raus auf die Terrasse und erkannte in der Ferne einige Silhouetten von Menschen — meine Abendmahlgefährten von gestern. Ich musste der einzige sein, der noch hier war und ein Gefühl von Fernweh ergriff mich. Ich packte meine Sachen und kontrollierte vor dem Verlassen noch einmal das Zimmer. Als ich unter die Betten schaute, sah ich einen Wanderstab — es war Monicas. Ich griff ihn mir und machte mich auf den Weg.
Nachdem ich den Ort verlassen hatte, sah ich in einiger Entfernung Monica eiligen Schrittes wieder zurückkommen. Ich winkte ihr mit ihrem Pilgerstab zu und sie freute sich sehr, als ich ihn ihr zurückgab.
„Vielen, vielen Dank! Ohne ihn bin ich gar nichts hier“, sah sie mich ernst an, drehte sich um und ging. Sie hatte sich der Gruppe von Belgiern angeschlossen, die sie schnell wieder einholte. Für mich war ihr Tempo aber viel zu schnell. Zum einen waren meine Waden hart wie Stein und zum anderen erinnerte ich mich an meine kleinen Probleme von gestern und so entschloss ich mich, mein eigenes Tempo für mich und meinen Körper zu finden. Ich war so froh, dass ich gesund und fit weiterwandern konnte. Die Eindrücke vom gestrigen Abend noch in Gedanken ging ich voran durch eine wunderschöne Landschaft.
Der Weg führte teils durch Waldalleen, an deren Bäumen eine Art weißes Moos wuchs, dann durch enge, schnurgerade Gassen, die durch Buchssträucher gesäumt waren und um die nächste Ecke war der Baumwuchs wieder ganz anders und ließ einen weiten Blick in die Landschaft zu. An einer völlig verfallenen alten Kapelle ohne Dach vorbei, bei der ich mich mit einem Schluck Wasser und einem Müsliriegel stärkte, erreichte ich das verfallene Dorf Ruesta, das schon von weitem mit seinen hohen Festungstürmen auf einem Hügel zu sehen ist.
Während meiner Wanderung hatte ich die Eindrücke der Natur genossen und mich wieder einmal gewundert, dass ich niemandem über den Weg gelaufen war. In der Ruinenstadt Ruesta gab es ein kleines Café und so traf ich hier die Belgier und Monica, schon fertig gefrühstückt, noch am Tisch sitzend. Einige Pilger, die ich allerdings nicht kannte, saßen am Nebentisch. Es gab ein opulentes Frühstück, während dessen sich die Gruppe um Monica wieder aufmachte. Nachdem auch ich Ruesta verlassen hatte, begegnete ich gerade noch Christiane. Sie lächelte mich an und wünschte mir einen guten Weg. Ich dachte darüber nach, ob ich sie vergangene Nacht wirklich in ihrem Bett hatte weinen hören, oder ob ich mir das nur eingebildet hatte.
Der Weg führte mich weiter durch dichte Laubwälder, bei leichter Bewölkung und angenehmen Temperaturen. Wenn es die Landschaft zuließ, erblickte ich immer mal in der Ferne die Belgier mit Monica. Aber die hatten ein irres Tempo drauf — zu schnell für mich. Ich war ja nicht auf der Flucht. Gegen Mittag kam ich in einen kleinen Ort namens Undues de Lerda, der auf einer Anhöhe lag. Das bedeutete, dass ich für mein Pilgermahl wieder erst einen Aufstieg bewältigen durfte.
Ich betrat das einzige Lokal am Ort und erblickte wieder — wen wohl — genau. Sie lachten mich an, als ich mich zu ihnen setzte. Unschwer zu erkennen war, dass sie wieder kurz vor dem Aufbruch waren. Aber sie konnten mir das
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