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1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg

1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg

Titel: 1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Jakob Weiher
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mit dir los? Geht’s dir nicht gut?“ sagte die Wienerin. Ich schilderte ihr meine Symptome und Befürchtungen, und löste damit wohl ihr Helfersyndrom aus. Sie kümmerte sich so rührend um mich, dass es mir fast unangenehm war. Sie holte mir Tee, was sicherlich nicht so einfach war, denn die Küche der Herberge sollte erst um acht Uhr abends öffnen. Sie wickelte mich in meinen Schlafsack, gab mir zahlreiche Gesundheitstipps und versuchte mich von meinen Befürchtungen abzulenken.
    „Von diesem ominösen Wasserschlauch haben mir hier einige erzählt. Manche haben nicht davon getrunken, weil sie dachten, das Wasser sei schmutzig.“
    „Danke schön für diese Ermutigung“, dachte ich, aber sie fuhr fort.
    „Und einige haben davon getrunken wie du und sie haben keine Beschwerden. Vielleicht bist du nur etwas überanstrengt und dein Kreislauf spielt verrückt.“ Mit dieser Diagnose ließ sie mich mit dem Rat, einfach etwas zu schlafen, allein. Nach etwa zwei Stunden wachte ich auf, weil mein Bett wackelte. Noch bevor ich mich nach unten beugen konnte, um zu schauen, wer da unter mir sein Nachtlager hatte, blickte ich in die tiefbraunen Augen der Schweigsamen.
    „Geht es dir besser?“ war ihre Frage an mich auf Englisch. Christiane, die Wienerin hatte mein Befinden wohl dem gesamten Refugio kundgetan.
    „Gleich gibt es unten Essen. Alle sind da. Komm auch runter. Das wird dir gut tun.“ Ihre Worte klangen so beruhigend und ich nickte ihr zu.
    „Essen.“ Dieses Wort hallte in meinem Kopf. Wann hatte ich denn heute gegessen? Ich war dreißig Kilometer gewandert. Bei Hitze. Mit Durst. Und gegessen hatte ich das letzte Mal am Vormittag, nachdem ich mir in der Bäckerei Brot und Käse geholt hatte. Aber eben nicht genug. Bei der Anstrengung war es dann auch kein Wunder, dass mein Körper nach ein wenig Ruhe verlangte.
    Nachdem ich in den Raum kam, wo sich alle zur Pilgermahlzeit niedergelassen hatten, schien dieser wie verwandelt. Einfach aber sehr schön geschmückt, acht Pilger saßen an einem langen Tisch. Christiane zog einen freien Stuhl zurück und wies mir nur mit einem Lächeln meinen Platz. Irgendetwas musste hier in der Herberge passiert sein, während ich geschlafen hatte, denn die Stimmung war so anders, so herrlich. In jedem Gesicht war ein tiefes, zufriedenes Lächeln zu sehen. Mein Blick ging durch die Runde. Neben der Schweigsamen saß Jörg. Der Große mit dem russischen Akzent saß neben drei anderen Männern. Einer von ihnen saß mir direkt gegenüber. Er hatte weißes Haar, braune Haut und muss mindestens sechzig Jahre alt gewesen sein.
    „Geht es ihnen besser?“ fragte mein Tischnachbar zur Rechten in gebrochenem Deutsch.
    „Ich habe alle gefragt, ob sie von dem Wasser aus dem Schlauch getrunken haben“, zupfte mich Christiane am Ärmel, „denen, die davon getrunken haben, geht es gut. Also wird es nicht schmutzig gewesen sein“, strahlte sie mich an mit einem Blick, als hätte sie persönlich das Wasser trinkbar gemacht.
    „Wenn du jetzt hier ein gutes Abendmahl einnimmst“, schaltete sich der alte Mann mit den weißen Haaren ein, „wirst du morgen früh gestärkt wieder weiter wandern können.“ Sein Lächeln sah so gütig aus.
    „Abendmahl“, hatte er gesagt. Wein und Brot standen auf dem Tisch und ein weise dreinblickender, weißhaariger, alter Mann saß mir gegenüber — schlief ich noch?
    Christiane unterbrach meine Gedanken.
    „Er hat recht. Greif zu und stärke dich. Morgen bist du wieder fit.“ Ihre etwas zu laute Stimme und ihr Redefluss passten nicht so recht zum Abendmahl. Aber sie war irgendwie süß und auf jeden Fall sehr hilfsbereit.
    Während des Essens erfuhr ich, dass die vier Männer aus Belgien kamen. Der jüngste von ihnen, den ich fälschlicherweise als vermeintlichen Russen enttarnt hatte, war als letzter zu der Gruppe gestoßen. Sie waren am heutigen Tag von Jaca aus unterwegs gewesen, was bedeutete, dass sie heute über vierzig Kilometer gewandert waren. Einer von ihnen war in der belgischen Armee als Legionär gewesen. Ich hätte ihn auf fünfzig geschätzt, aber er sagte mir mit einem verschmitzten Lächeln, dass er als Vierundsechzigjähriger auf dem Jakobsweg eine gesamte Strecke von fast eintausendfünfhundert Kilometern zurücklegen wollte. Und ich hatte gedacht, ich sei mit meinen tausend Kilometern hier der König. Aber als ich dann erfuhr, dass der weise, alte Mann mir gegenüber zweiundsiebzig Jahre alt sei und auch diese Strecke bis an den

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