1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg
am Weg hatte ich mein zweites Frühstück eingenommen und in Cirueña, zehn Kilometer weiter ein vorzügliches Mittagsessen. Jetzt merkte ich allerdings, dass ich mit einem ziemlich vollen Magen unterwegs war. Zu Anfang des Weges, auf dem Camino Aragon sind die Möglichkeiten sich mit Nahrungsmittel einzudecken, eher knapp.
Hier heißt es jede Möglichkeit wahrzunehmen sich einzudecken. Wenn es etwas zu trinken gibt, trink. Wenn es etwas zu essen gibt, iss. Automatisch bist du fast überall eingekehrt, wo es etwas Essbares gab. Aber ich glaube, jetzt sollte ich mich langsam umstellen. Denn so wie heute komm ich nicht weit. Da ich aber, wie schon erwähnt, Zeit hatte, suchte ich mir am Nachmittag ein schattiges Plätzchen und machte Siesta. Ich musste kurz eingenickt sein, denn als ich meine Augen öffnete, stand mir jemand in der Sonne.
„Hallo, du Faulpelz“, sagte eine weibliche Stimme zu mir. Aber ich konnte nichts erkennen, weil die Person direkt in der Sonne stand. Als sie merkte, dass ich nichts sehen konnte, trat sie aus der Sonne. Es war Ronja aus Luxemburg. Ich hatte sie heute Vormittag bei der Schafherde kurz getroffen und ihr bei Ihrem Rucksack geholfen.
„Ich muss dir danken. Seit du mir heute Morgen den Rucksack richtig verzurrt hast, ist das Wandern noch mal so schön.“ Ich bat sie sich zu mir zu setzen. Als ich sie heute Morgen gesehen hatte, war mir aufgefallen, dass sie ihren Rucksack völlig falsch verzurrt hatte. Die Tragriemen waren überhaupt nicht eingestellt — kurzum, ihr Rucksack hing auf halb acht. Ich hatte ihr vorsichtig zu verstehen gegeben, dass sie es einfacher haben würde, wenn sie die Riemen richtig einstellen würde. Dann blieb sie plötzlich stehen und sagte spontan:
„Toll, dann mach’ doch.“ So zerrte und zurrte ich an der mir völlig fremden Frau mitten auf dem Weg herum, bis alles passte. Ronja war dreiunddreißig Jahre alt und hier auf dem Jakobsweg für zwei Wochen allein unterwegs. Sie hatte noch nicht in einer einzigen Pilgerherberge übernachtet, weil sie sich davor ein wenig zu fürchten oder zu ekeln schien. Nach ihren Erzählungen stammte sie aus einem reichen Elternhaus. Der Vater war Bankier, die Mutter Kunsthändlerin und beide waren total dagegen gewesen, dass sich ihr Töchterchen allein auf den Jakobsweg begeben würde.
„Du hast aber einiges verpasst, wenn du nicht in den Refugios übernachtest“, sagte ich, „ eigentlich hast du dann einen wichtigen Teil des Weges gar nicht mitbekommen.“ Ronja war neugierig zu erfahren, wie es denn so in den Pilgerherbergen zugehen würde. Sie hatte sich wohl schon ein paar angeschaut, aber sich nie überwinden können einzuchecken.
Während wir uns gemeinsam wieder auf den Weg gemacht hatten, berichtete ich ihr von meinen Erfahrungen in den Herbergen. Von der Atmosphäre gemeinsam mit teils bis zu fünfzig Pilgern gleichzeitig in einem Raum zu übernachten. Der Enge, die in den Gängen und Räumen herrschte, der Geräuschkulisse der Menschen, die ich in dieser Form nie für möglich gehalten hatte, den saumäßig unbequemen Stockbetten, sowie den Warteschlangen vor den sanitären Einrichtungen. Ich erzählte von den Dingen, die man nie hatte sehen wollen, wenn sich die Pilger umzogen oder duschten und den Gerüchen, die einem manchmal in die Nase drangen.
„Toll“, rümpfte Ronja die Nase, „gibt es auch etwas Positives zu erleben in den Herbergen?“
Ich erzählte ihr, wie ich schon in den ersten Tagen meiner Reise gute Freunde gefunden hatte, von unseren gemeinsamen Essen, den interessanten und tiefgreifenden Gesprächen und den Bauchschmerzen vom Lachen, die wir oft hatten.
„Und in dem Ort, wo wir heute Station machen, gibt es das älteste Refugio auf dem ganzen Jakobsweg“, gab ich stolz die Information preis, die ich meinem Reiseführer entnommen hatte.
Die Klosterherberge wurde im Jahr 1044 gegründet. Ronja schien von meinen Worten einigermaßen beeindruckt gewesen zu sein, obwohl sie einige Minuten gar nichts mehr sagte. Dann blieb sie wieder abrupt stehen, das war so ihre Art, wenn sie etwas Wichtiges zu sagen hatte.
„Übernachten wir da heute zusammen?“ fragte sie mich mit großen Augen. Ich grinste mir innerlich einen. Das feine Töchterchen aus gutem Hause wollte in der ältesten Pilgerherberge am Jakobsweg ihre erste Nacht in einem Refugio verbringen.
„Klar“, grinste ich immer noch, „ wenn die noch zwei Betten für uns frei haben.“ Wenig später erreichten wir unser
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