1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg
Ziel, Santo Domingo de la Calzada, eine der prominentesten Stationen am Jakobsweg. Und wir entdeckten auch schnell die betagte und von außen sehr unscheinbar wirkende Pilgerherberge.
Doch im Innern konnte man das Flair der Jahrhunderte förmlich spüren. War es draußen mittlerweile sehr warm geworden, umgab einen beim Betreten der Herberge eine angenehm kühle Brise. Dicke, alte massive Türen überall, Holzdecken und ein abgenutzter Steinfußboden zeugten von Zehntausenden, ja Hunderttausenden von Pilgern, die diesen Ort schon betreten hatten. Das Gefühl, das mich überkam, war eher die Ehrfurcht, die ich verspürte, wenn ich eine Kapelle, Kirche oder Kathedrale betrat und nicht, wie hier eine Herberge. Ja! Hier wollte ich auf jeden Fall übernachten.
Und was war mit Ronja? Ich schaute mich um, konnte sie aber nicht entdecken. Nach kurzer Suche fand ich sie im großen Schlafsaal. Madame schien meine Begeisterung nicht zu teilen.
„So viele Betten in dem großen Saal. Da kann ich bestimmt nicht gut schlafen“, nörgelte sie.
„Was willst du schlafen? Hier hast du die Gelegenheit, dem Geist des Jakobsweges etwas näher zu kommen.“
„Und die Toiletten und Duschen sehen auch nicht so gut aus“, moserte sie weiter und mir war klar, dass das mit uns hier nichts würde. Und so verabschiedete sich Ronja von mir und wünschte mir etwas verlegen eine gute Nacht und einen guten Weg.
Ich war froh, einen Schlafplatz gefunden zu haben und machte mich am späten Nachmittag frisch geduscht auf zur Kathedrale von Santo Domingo de la Calzada, um die sich eine interessante Legende rangt.
So soll im sechzehnten Jahrhundert eine deutsche Pilgerfamilie hier im Ort Rast gemacht haben. Die Wirtstochter verliebte sich dabei in den Sohn der Familie. Der aber wies die Wirtstochter zurück. Aus Rache darüber bezichtigte sie ihn des Diebstahls und er wurde kurz danach vom Richter zum Tode durch den Strang verurteilt. Die Eltern des jungen Mannes pilgerten nach Santiago de Compostela und beteten beim Heiligen Jakobus um das Leben ihres Sohnes.
Auf dem Rückweg von Santiago trafen sie dann kurz vor den Toren von Santo Domingo de la Calzada auf ihren Sohn. Der hatte zwar den Strick um den Hals, stand aber auf den Schultern des Heiligen Jacobus. Als die Eltern in den Ort kamen um dieses dem Richter zu erzählen, war der gerade beim Essen, und er antwortete ihnen: „Ihr Sohn ist so tot wie das Brathuhn auf meinem Teller.“ Kaum hatte er diese Worte gesprochen, krähte das Huhn auf seinem Teller und flatterte davon.
Seit diesem Tag, und das ist das Besondere hier in dieser Kathedrale, befinden sich immer zwei lebendige, weiße Hühner mitten im Kirchenraum. Und es gilt als Glücksfall, wenn eines der Hühner beim Betreten der Kathedrale kräht. Das wollte ich natürlich ausprobieren.
Bevor ich durch den Seiteneingang trat, musste ich kurz an Monica denken, die mir von diesem Ort berichtet hatte. Ich schaltete die Diktierfunktion meines Handys ein und betrat das Innere des Gotteshauses. Mit einem lauten „Kikeriki“ begrüßten mich gleich beide Hühner. Sie saßen mitten in der Kirche in einem kleinen, beleuchteten Käfig. Ich setzte mich, um mir das Schauspiel anzusehen und anzuhören.
Die Viecher waren so laut, dass ich mich fragte, wie hier eine anständige Messe abgehalten werden konnte. Mein Reiseführer informierte mich dann auch noch darüber, dass die Tiere alle drei Wochen ausgetauscht werden. Da kann man nur hoffen, dass sie nach ihrem Dienst in der Kirche nicht beim Richter als Brathuhn auf dem Teller landen.
Nachdem ich etwas später wieder auf dem Platz vor der Kathedrale stand und ein paar Aufnahmen mit meiner Kamera machte, huschte eine mir bekannte Person vorbei. Es war Ronja, die mich nicht entdeckte. Sie kam doch tatsächlich aus dem Hotel, das am Hauptplatz vor der Kathedrale stand. Und dieses Hotel war nicht einfach nur irgendeines. Nein.
Es war ein „Parador Nacional“, eines der besten staatlich geführten Fünfsterne-Hotels des Landes. Ich tippe mal, für die Übernachtungskosten einer Nacht kann sich ein Pilger gut und gerne eine Woche mit allem über Wasser halten -mindestens.
„Na ja“, dachte ich, „wenigstens macht die Tochter aus gutem Hause keine halben Sachen“. Noch auf dem Vorplatz sitzend schickte ich die Audio Aufnahme der glücksbringenden Hühner an Monicas Email Adresse — und landete damit einen unerwarteten Treffer. Denn später am Abend bekam ich eine SMS von ihr auf mein
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