1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg
Schwachsinn“, sagte ich zu mir und suchte mir erst noch unter einem Baum ein schattiges Plätzchen, um einen Teil des soeben erstandenen Proviants zu vertilgen. Ich tauschte meine lange Hose gegen die Kurze und machte mich auf, den Berg zu erklimmen — und kam dabei mächtig ins Schwitzen und Pusten.
Ich ging den Weg etwa hundert Meter hinauf, um dann eine Pause zu machen, wieder hundert Meter, wieder Pause. Das ging so eine Stunde lang.
Als ich oben angekommen war und wieder richtig atmen konnte, bemerkte ich einen Radfahrer, der sich aufmachte, auch hier herauf zu kommen. Auch er tat sich sehr schwer und als er Mitte der Strecke anhielt und seinen Drahtesel schob, packte ich wieder meine Sachen und bestaunte die Aussicht von hier oben.
Genau wie der Aufstieg, so kurz und knackig war auch der Abstieg. Und das fanden meine Knie und Waden gar nicht komisch. Ich hatte richtig Schwierigkeiten und musste auch bei diesem Abstieg des Öfteren anhalten, um meine Beine zu schonen. Bei einer dieser Pausen raste der Fahrradfahrer mit lautem Getöse und einem Wahnsinnstempo an mir vorbei. Sein ganzer Körper vibrierte von den Schlägen des Schotterweges, aber zu einem „Buen Camino“ reichte es noch.
Drei Kilometer später kam ich an einen kleinen Rastplatz mit Sitzgelegenheiten und einem Brunnen. Hier lagen kleine Hinweiszettel auf eine Pilgerherberge im übernächsten Ort. Die Fotos sahen vielversprechend aus und ich war gespannt.
Während ich über eine schöne alte Bogenbrücke den „Rio Pisuerga“ überquerte, entdeckte ich abgelegen unter Bäumen die Gruppe der Pilger mit ihren Pferden. Sie hatten mich am Morgen überholt. Dann erreichte ich mein Ziel Itero de la Vega.
Die geschäftstüchtig angekündigte Herberge konnte ich nicht finden. Vielmehr landete ich in einer sehr einfachen Herberge gegenüber der Kirche. Davor, auf einem kleinen, schattigen Platz lagen und saßen vier Pilger, lesend und entspannend auf Holzbänken. Diese gemütliche Situation gab den Ausschlag, mich hier einzuquartieren. Das Innere der Herberge war wirklich sehr einfach gehalten. Zwar gab es einen großen Raum mit Einzelbetten aber die sanitären Anlagen förderten eher den Entschluss, es bei einer Katzenwäsche zu belassen. Die Herberge hatte niemanden, der sich aktiv kümmerte. Am Eingang informierten zahllose Blättersammlungen in vielen Sprachen, dass man sich ein Bett suchen sollte, eine kleine Spende in eine Dose werfen, und die Räume wieder so verlassen sollte, wie man sie anzutreffen gewünscht hätte — hier hatte jemand Humor.
Für den Stempel im Pilgerpass öffnete sich gegen Abend für eine halbe Stunde die Kirche gegenüber. Und wieder wunderte ich mich über die Schönheit im Innern des alten Gebäudes, das von außen nicht im geringsten zu erahnen gewesen war. Das einzige, was von außen ins Auge stach, waren die zwei bewohnten, großen Storchennester auf dem Kirchturm.
Um mein Abendessen einzunehmen, hatte ich zwei Möglichkeiten. Die eine war die Dorfkneipe, die mir aber viel zu laut war, die andere die Herberge, die ich nach dem Werbezettel eigentlich gesucht hatte. Wo die Leute allerdings die Fotos her hatten, war mir schleierhaft, sie entsprachen nicht im Entferntesten denen auf dem Zettel. „Sie“ war aber trotzdem gut besucht. Im Gästeraum war nur noch ein Stuhl frei an einem Tisch mit drei Herren mittleren Alters. Ich versuchte in englischer Sprache zu fragen, ob hier noch frei sei.
„Jo freili. Hock di nieder“, sagte einer der Männer, „wo kimmstn du her?“ Und prompt fühlte ich mich die nächsten Minuten ins tiefste Bayern versetzt.
Die drei waren alle letztes Jahr in Rente gegangen und hatten sich wirklich aus der tiefsten Provinz Bayerns, ohne ihre Ehefrauen auf den Weg gemacht. Auch sie hatten erst in Burgos begonnen. Es war ein anfangs sehr lustiger Abend, der etwas später aber leiser wurde. Denn einer von ihnen erzählte die Geschichte, die ihn bewogen hatte auf den Jakobsweg zu gehen. Sie war sehr rührend. So war seine Schwester vor einem Jahr plötzlich und unerwartet gestorben. Im Traum war sie ihm seitdem öfter erschienen und hatten ihm gesagt, nun müsse er den Weg alleine gehen. Er hatte aber keine Ahnung, was sie damit meinte und so zog es ihn immer wieder an ihr Grab.
Eines Tages stand dort eine Dame, die sich als gute Freundin seiner Schwester vorstellte. Im Gespräch sagte sie ihm dann, dass es immer ein Herzenswunsch der Schwester gewesen sei, auf den Jakobsweg zu
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